Iris Bohnet: What Works – Wie Verhaltensdesign die Gleichstellung revolutionieren kann

Verlag C.H.Beck, 2017, 396 Seiten

Dieser Buchtipp erreicht dich gerade noch im März, dem Monat des Weltfrauentages. Rund um diesen Tag hab ich „What works“ auch zu lesen begonnen. Und im Laufe der folgenden Tage und Wochen festgestellt, dass es nicht unbedingt ein Buch zum Nebenbei-Lesen ist oder für die ruhige Stunde am Abend, in der die Kinder schon schlafen, aber ich noch nicht.

Denn Iris Bohnet verpackt ordentlich viel Information in die 396 Seiten ihres Buches, einem dichten Kompendium an Studienergebnissen und daraus abgeleiteten Handlungsempfehlungen, vor allem für Führungskräfte – aber nicht nur! Denn aus ihrer Sicht müssen sich nicht die Frauen ändern, sondern die Spielregeln, wenn die Welt gerechter und besser werden soll. Besser in dem Sinne, dass Talente optimal genützt werden und wir die Kräfte von Männer UND Frauen mobilisieren, um gesellschaftliche, wirtschaftliche und politischen Herausforderungen zu meistern. Und dazu kann jede und jeder von uns einen Beitrag leisten.

Iris Bohnet, Professorin für Verhaltensökonomie an der Harvard Universität und Direktorin des dortigen Women und Public Policy Programmes kann beim Verfassen des Buches nicht nur auf ihre persönliche Erfahrung und Expertise zurückgreifen, sondern zitiert aus zahlreichen Studien und Untersuchungen, die an ihrer und anderen Hochschulen, aber auch in Unternehmen und Regierungen auf der ganzen Welt durchgeführt wurden. Sie liefert damit fundierte Erkenntnisse und handfeste Beispiele – sowohl für die Analyse der durchaus problematischen Ausgangslage also auch in Hinblick auf Möglichkeiten etwas zu verändern. Big Data etwa nennt sie dabei als große Chance, weil damit unser Verständnis von Wirklichkeit wesentlich klarer wird und in dem Sinne diese Wirklichkeit auch gezielt veränderbar.

Auch mein Verständnis zum Thema Gleichstellung ist bei der Lektüre breiter und tiefer gleichzeitig geworden. So macht Iris Bohnet u.a. deutlich, welche Aspekte es sind, die wir als Geschlechterunterschiede wahrnehmen, etwa Risikofreude oder Kooperationsbereitschaft – und wie wir diese Unterschiede durch mitunter simple Interventionen ausgleichen können. Sie zeigt zudem auf, wie weit verbreitet und wie schwer zu bekämpfen Vorurteile sind und wie man sie stattdessen „austricksen“ kann – etwa gelungen durch blindes Vorspielen bei Orchestern oder das Entfernen demographischer Merkmale aus Unterlagen von Bewerberinnen und Bewerbern. Und sie erklärt, wie wohl überlegte Normen – etwa auch durch bewusst gestaltete Rankings – und eine sinnvoll eingesetzte Transparenz wirksame Stellschrauben auf dem Weg zu mehr Geschlechtergerechtigkeit sein können.

Kompakte und schlüssige Zusammenfassungen und konkrete Handlungsanleitungen – von Leitfäden für strukturierte Bewerbungsgespräche über Talentemanagement bis hin zu mehr Diversität in der Politik – am Ende jedes Kapitels machen das Buch in gewisser Weise auch zu einem Nachschlagewerk. Bei mir war deren Lektüre auch mit der Freude verbunden, dass ich manche davon intuitiv schon umsetzen bzw. jedenfalls ausprobieren konnte, etwa Frauen in Programmen und Gebäuden sichtbar zu machen oder Coaching und Mentoring zu organisieren und zu nutzen.

Ganz nebenbei erwirbt man beim Lesen von Bohnets Buch auch ein Verständnis für die Prinzipien und den Nutzen von Verhaltensökonomie. Sie liefert durch plastische Beispiele auch Anregungen für andere Lebensbereiche, etwa wenn es darum geht, seine Fitness- und Abnehmziele zu erreichen oder „leise“ Studierende bzw. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu Wort kommen zu lassen. Was ihre Profession betrifft, konstatiert Iris Bohnet jedenfalls gleich auf den ersten Seiten: „[Verhaltensdesign] wird nicht alle unsere Probleme bezüglich der Chancengleichheit lösen, aber es wird etwas bewirken, oftmals zu verblüffend geringen Kosten und in verblüffend kurzer Zeit.“

„What works“, seine Botschaften und konkreten Empfehlungen richten sich vor allem an Führungskräfte in Wirtschaft, Politik oder NGOs, aber letztlich an alle, die in ihrem privaten oder beruflichen Umfeld Handlungsspielraum haben, den sie gern im Sinne von Gleichstellung nutzen wollen. Iris Bohnet spielt uns diesen Ball am Ende des Buches auch direkt zu, indem sie formuliert: „Unternehmen, Universitäten und Regierungen weltweit bemühen sich mittlerweile um Gleichstellung mithilfe von Verhaltensdesign. Wir können heute die Kompassnadel in Richtung einer gerechteren und besseren Welt verschieben. Jetzt ist es an Ihnen.“

Also auch an dir und mir. Das Buch kann ein guter Anstoß dafür sein.

Liebe Grüße,
Bettina

PS: „Hängen Sie in Ihrer Organisation Porträts von Männern UND Frauen auf“, rät Iris Bohnet im Kapitel über Rollenmodelle in „What works“. Frauen und ihren Beitrag in Geschichte und Gegenwart sichtbar zu machen, ist mir in meiner politischen Arbeit schon lange wichtig – und ich hab es mir besonders an der Politischen Akademie zur Aufgabe gemacht. Schon 2018 haben wir einen unserer historischen Räume nach Grete Rehor, der ersten Ministerin Österreichs umbenannt. Und auch 2021 findet die Grete Rehor Matinée statt – diesmal am 19. April, dem Jahrestag der Angelobung von Grete Rehor als Sozialministerin. An diesem Tag werden wir – wie seit Monaten gewohnt virtuell – mit Frauen in Führungspositionen oder am Weg dorthin über ihre Erfahrungen reden und darüber, was wir voneinander lernen können. Informationen und Anmeldung dazu hier.

 

PPS: Wer noch nicht überzeugt davon ist, dass es immer noch oder gerade jetzt an der Zeit ist, etwas für Gleichstellung zu tun, der und dem sei noch ein Buch ans Herz gelegt, dass ich vor Jahren gelesen habe und dessen Erkenntnisse und Eindrücke mich immer noch begleiten. Und offenbar geht auch Iris Bohnet so, die diesen Band auch explizit empfiehlt: „Die Hälfte des Himmels“ von Nicholas D. Kristof und Sheryl WuDunn motiviert anhand der Erzählung ausgewählter, aber letztlich prototypischer, Frauenschicksale auf der ganzen Welt zum Nachdenken und anhand konkreter Empfehlungen auch zum Handeln.

Buchtipps von Bettina Rausch-Amon

Buchtipps von Bettina Rausch-Amon

Bettina Rausch-Amon, geboren 1979, Mag. phil., MBA (Health Care Management), ist Präsidentin der Politischen Akademie der Volkspartei und Abgeordnete zum Nationalrat. Sie war fünf Jahre lang Mitglied des Bundesrates und weitere fünf Jahre lang Abgeordnete zum Niederösterreichischen Landtag. Sie ist Herausgeberin zahlreicher Publikationen, zuletzt des Sammelbandes „Christlich-soziale Signaturen. Grundlagen einer politischen Debatte,“ gemeinsam mit Simon Varga, und des Sammelbandes „Bürgergesellschaft heute. Grundlagen und politische Potenziale“ gemeinsam mit Wolfgang Mazal. Seit 2018 ist Rausch Mitherausgeberin des „Jahrbuchs für Politik“. Bettina Rausch ist externe Lehrbeauftragte u.a. an der IMC FH Krems und an der FH Campus Wien.

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