Wolfram Weimer: Sehnsucht nach Gott

Bonifatius Verlag, 2021, 127 Seiten

Schon der Einband dieses Buches springt ins Auge – so ging es jedenfalls mir, als ich Wolfram Weimers Buch in der Buchhandlung meines Vertrauens sah. Vier Buchstaben prangen da doch recht fett auf dem Papier: GOTT. Und schon fühlt man sich ertappt bei dem Gedanken, ob man so ein Buch heutzutage überhaupt lesen, geschweige denn schreiben dürfe. Zumal mit diesem Untertitel. Man darf und man sollte sogar. Das denkt jedenfalls Wolfram Weimer. Und nach vollendeter Lektüre (innerhalb zweier Abende) denke ich das umso mehr.

Von Diagnose bis Rehabilitation

Dass der Aufbau des Buches medizinischen Begriffen folgt, ist ein subtiler und durchaus gelungener Anklang an die Corona-Pandemie. Diese kommt explizit zwar im ersten Teil des Buches vor, genannt als ein Anlass, der so manche Betrachtungen des Autors eindrücklich untermauert. Allerdings – und das ist nahezu wohltuend – kommt dieses C-Wort in der Folge nicht mehr vor. Und das ist insofern wiederum recht einleuchtend, geht es bei Weimers Darlegungen doch um Grundsätzliches, um große Linien, um langfristiges Denken und nicht um kurzfristiges Krisenmanagement.

Dennoch: Als jemand, der in Zeiten von „Corona“ lebt, kommt man nicht umhin, eben diese grundlegenden Gedanken immer wieder auch in Bezug mit aktuell Erlebtem zu bringen. Und auch das ist wohl wiederum gut so.

Großartig recherchiert und lese(r)freundlich arrangiert

Das Thema, dem sich Wolfram Weimer widmet, ist ein großes, ein umfassendes. Und er schafft es dennoch – wie es für einen Publizisten mit derart profundem journalistischen Erfahrungshintergrund nicht überrascht – nur 127 Seiten zu brauchen, um einen Bogen zu spannen, seinen Standpunkt deutlich zu machen und gleichzeitig immer wieder Anregung zu liefern zum Weiterdenken.

Geschichtliche, philosophische und politische Bezüge stellt Wolfram Weimer selbstverständlich und fundiert her und liefert nicht nur unmittelbar im Text immer Hinweise auf Urheber bzw. größere Zusammenhänge zitierter Theorien und Konzepte. Für den Anhang hat er auch eine interessante Liste weiterführender Literatur zusammengestellt, die sein kompaktes Werk entsprechend ergänzen kann. Quelle und damit Inspiration für das Buch, auch das spürt man förmlich, sind nicht nur politische Ereignisse oder die Ideen (anderer) großer Denker, sondern letztlich persönliches Erleben und Überzeugungen, ja ein spürbares, aber nicht aufdringliches Sendungsbewusstsein und ein authentischer Gestaltungswille des Autors.

Postulat mit Appell

Und so lese ich Weimers Postulat, wonach „Gott zurückkehrt“ und „das 21. Jahrhundert ein Zeitalter der Religion wird“ letztlich immer auch als einen Appell – nämlich den, uns als Einzelne aber auch als Gesellschaft erneut und ernsthaft die „Gretchenfrage“ zu stellen. Denn folgt man dem Autor, so scheint es, als hätten wir aus den Schrecken der frühen und leidvollen Erfahrungen auch des gesamten 20. Jahrhunderts die falschen Schlüsse gezogen. Eindrücklich beschreibt Weimer jene historische Entwicklung einer mittlerweile an einem kritischen Höhepunkt angekommenen Säkularisierung, die dazu geführt habe, dass wir Lücken und Leere erleben, wo wir uns dank Erkenntnis und Autonomie Erfüllung und Erfolg erwartet haben.

Phänomene wie überbordende Political Correctness, ohnmächtige Ratlosigkeit im Umgang etwa mit dem politischen Islam oder das oft beklagte fehlende Narrativ für Europa führt er darauf zurück, dass wir in postmodernen westlichen Gesellschaften das Religiöse und damit Ethik, Werte und Tugenden und damit echte Orientierungspunkte ins Private zurückgedrängt haben. Im öffentlichen Raum erleben wir damit Relativierung gleichzeitig mit Über-Regulierung – beides nicht in der Lage uns als Gesellschaft zusammenzuhalten und uns im Wettstreit mit anderen Kulturen (!) im besten Sinne zukunftsfähig zu machen.

„Der Glaube ist die größte Leidenschaft des Menschen“, zitiert Weimer Sören Kierkegaard gleich am Beginn, um das im letzten Kapitel des Buches eindringlich und am Ende tatsächlich berührend auch zu erklären. Wolfram Weimers Buch rührt auf und an – und ist damit vermutlich gerade in dieser Zeit des Jahres, in diesem Jahr der Pandemie ein echtes Geschenk.

Damit wünsche ich Ihnen frohe Weihnachten mit viel freudvoller Zeit im Kreise Ihrer Liebsten und vielleicht auch mit dem einen oder anderen guten Buch.

Herzliche Grüße,
Bettina Rausch

PS: Auch Publikationen der Politischen Akademie beschäftigen sich mit grundsätzlichen Fragen – zum Beispiel das Buch „Christlich-soziale Signaturen“ über unterschiedliche Zugänge zur christlichen Soziallehre oder das Buch „Bürgergesellschaft heute“ über Herkunft und Zukunft dieser politischen Idee. Infos hier: www.politische-akademie.at/buechershop.

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Buchtipps von Bettina Rausch-Amon

Bettina Rausch-Amon, geboren 1979, Mag. phil., MBA (Health Care Management), ist Präsidentin der Politischen Akademie der Volkspartei und Abgeordnete zum Nationalrat. Sie war fünf Jahre lang Mitglied des Bundesrates und weitere fünf Jahre lang Abgeordnete zum Niederösterreichischen Landtag. Sie ist Herausgeberin zahlreicher Publikationen, zuletzt des Sammelbandes „Christlich-soziale Signaturen. Grundlagen einer politischen Debatte,“ gemeinsam mit Simon Varga, und des Sammelbandes „Bürgergesellschaft heute. Grundlagen und politische Potenziale“ gemeinsam mit Wolfgang Mazal. Seit 2018 ist Rausch Mitherausgeberin des „Jahrbuchs für Politik“. Bettina Rausch ist externe Lehrbeauftragte u.a. an der IMC FH Krems und an der FH Campus Wien.

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