Ulrike Ackermann: Die neue Schweigespirale. Wie die Politisierung der Wissenschaft unsere Freiheit einschränkt.

wbg Theiss, 2022, 176 Seiten

Vor Kurzem konnte ich im Parlament zu einem Thema Stellung nehmen, das wohl wunderbar auch als Beispiel für Ulrike Ackermanns aktuelles Buch dienen hätte können. In der Debatte um einen Antrag der FPÖ mit dem Titel „Schluss mit dem Genderzwang an den Universitäten“ wurde zum einen die von Identitätspolitik befeuerte Polarisierung unserer Gesellschaft deutlich, andererseits auch spürbar, in welchem brutalen und letztlich unverzeihlichen Stil die Auseinandersetzung geführt wird. In meiner Wortmeldung konnte ich – allein schon wegen der kurzen drei Minuten – nicht auf alle diese Aspekte intensiv eingehen. Sie war jedenfalls ein Versuch, auf dieses Thema mit einer bürgerlichen Haltung zuzugehen. Schließlich wird es im Parlament und in der (medialen) Öffentlichkeit regelmäßig von zwei extremen Standpunkten aus debattiert.

Ich verwies auf die Freiheit in all ihren Facetten und auf die damit verbundene Verantwortung. Mit einem Plädoyer für Zutrauen und Zuversicht, verbindlich und verbindend in Sprache und Inhalt, ohne Anspruch, eine „reine Lehre“ zu verkünden.

Denn wichtiger denn je scheint es mir, dass wir Diskussionsräume öffnen, Auseinandersetzungen im besten Sinne ermöglichen und gemeinsam um gute Lösungen für (gesellschafts-)politische Fragen ringen. Angebliche Bekenntnispflichten, vorschnelle Schubladisierung und vor allem laute Moralisierung bringen uns dabei nicht weiter. Das hab ich jedenfalls mitgenommen bei der Lektüre von Ulrike Ackermanns „Die neue Schweigespirale.“

Die Gedanken sind frei!?

Gleich zu Beginn hält die Politikwissenschaftlerin fest, dass unsere Freiheit heute von zwei Seiten eingeschränkt wird: „Die Identitätspolitik von rechts strebt ein ethnisch homogenes Volk an, jene vonseiten des politischen Islam führt den Kampf gegen den ungläubigen Westen, und die von links kämpft gegen die weiße, patriarchale, kolonialistische Tätergesellschaft.“ Alle drei seien immanent antiliberal, weil sie die Errungenschaften der Moderne, der Aufklärung und vor allem den Universalismus der Menschenrechte bekämpfen würden. Diese mittlerweile allzu selbstverständlichen Grundlagen unseres Lebens in relativer Sicherheit und beispiellosem Wohlstand, erläutert die Autorin eingangs ausführlich und gleichzeitig kurzweilig – jedenfalls so einleuchtend und einprägsam, dass sie in späteren Passagen immer wieder gut darauf verweisen kann.

Universitäten als Ausgangs- und Kristallisationspunkte

Im weiteren Verlauf des Buches konzentrieren sich die Betrachtungen auf die Freiheitseinschränkungen „von links“, sind sie es doch, die aktuell – ausgehend von Universitäten in der westlichen Welt – unsere Gesellschaften herausfordern. Illustriert von aussagekräftigen Beispielen und untermauert von Studienergebnissen zeichnet Ackermann nach, wie sich Universitäten und ihre Angehörigen systematisch selbst in ihrer eigentlichen Arbeit des Erkenntnisgewinns einschränken. Safe Spaces, Trigger-Warnungen und Verhaltenskodizes standen am Anfang, Rede- und Auftrittsverbote sowie Kündigungen mittlerweile auf er Tagesordnung. Die Politisierung der Sozial- und Geisteswissenschaften habe in den USA begonnen und breite sich nunmehr auf ganz Europa aus. Die universitär gebildeten Meinungseliten tragen, so Ackermann, Identitätspolitik, Wokeness und Cancel Culture breit in die Gesellschaft.

Und alle machen mit?!

Und genau diese Gesellschaft, wir alle, scheinen diesen Trends schutzlos ausgeliefert zu sein. Wie sonst ließe sich erklären, dass Unternehmen und Institutionen bereitwillig all die neuen Einschränkungen in Kauf nehmen, ja sogar aktiv implementieren. Ulrike Ackermann will mit ihrem Buch aufrütteln. Sie liefert auf 176 dichten und aufschlussreichen Seiten jedenfalls genug „Food for Thought“ und Erklärung für den Status quo. Theorie und praktische Beispiele können auch als Grundlage für die eigene Argumentation dienen. Wie wir nun aber unsere Freiheit(en) verteidigen oder gar wieder erlangen können, da bleibt das Buch am Ende vage.

In Ackermanns 2020 erschienenem Buch „Das Schweigen der Mitte“ findet man dazu allenfalls noch mehr Handreichung, jedenfalls Motivation sich aktiv an gesellschaftlichen und damit hochpolitischen Debatten zu beteiligen. Dieses Vorgängerwerk beschreibt der Verlag nämlich als „fundierte politikwissenschaftliche Analyse, ein leidenschaftlicher Appell für mehr Haltung und für ein beherztes Eingreifen in die aktuellen politischen Debatten – sei es in der Presse, auf den Social Media Plattformen oder im Parlament!“

Dazu anregen will ich auch immer mit meinen Buchtipps. Und ich freu mich sehr, wenn es gelingt, umso mehr immer über Rückmeldungen.

Liebe Grüße,
Bettina

PS: Sich einzubringen ins Politische scheint ein Gebot der Stunde zu sein. Ob und wie man es dann tut, bleibt letztlich eine persönliche Gewissensfrage. Apropos Gewissen, am Mi, 22. Februar wird an der Politischen Akademie ein dazu passendes Buch „aufgeblättert“. „Ein europäisches Gewissen“ ist der Titel der Biographie des ehemaligen EU-Parlamentspräsidenten Hans-Gert Pöttering. Mit ihm gemeinsam präsentiert Michael Gehler, einer der Autoren, das Buch und Geschichten dahinter. Weitere Informationen und die Möglichkeit zur Anmeldung gibt es hier.

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Buchtipps von Bettina Rausch-Amon

Bettina Rausch-Amon, geboren 1979, Mag. phil., MBA (Health Care Management), ist Präsidentin der Politischen Akademie der Volkspartei und Abgeordnete zum Nationalrat. Sie war fünf Jahre lang Mitglied des Bundesrates und weitere fünf Jahre lang Abgeordnete zum Niederösterreichischen Landtag. Sie ist Herausgeberin zahlreicher Publikationen, zuletzt des Sammelbandes „Christlich-soziale Signaturen. Grundlagen einer politischen Debatte,“ gemeinsam mit Simon Varga, und des Sammelbandes „Bürgergesellschaft heute. Grundlagen und politische Potenziale“ gemeinsam mit Wolfgang Mazal. Seit 2018 ist Rausch Mitherausgeberin des „Jahrbuchs für Politik“. Bettina Rausch ist externe Lehrbeauftragte u.a. an der IMC FH Krems und an der FH Campus Wien.

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