Mir selbst wurde das Buch empfohlen – und zwar auch nicht von irgendjemandem, sondern von meinem NEOS-Kollegen im Nationalrat, Helmut Brandstätter, am Rande einer parlamentarischen Debatte zum Krieg in der Ukraine. Denn dieses Buch handelt von der Ukraine, spielt größtenteils ebendort und wurde von einer Ukrainerin geschrieben.
Tabula rasa
Es ist der Krieg, der ebendiese Ukraine in den Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit gerückt hat – auf eine äußert schreckliche Art plötzlich. Und damit wurde vielen uns auch bewusst, wie überraschend, ja wie fast schändlich wenig wir über diese Ukraine wissen. Über ihre Geschichte und Gegenwart, über ihre Menschen und Mentalitäten. Für viele von uns sei die Ukraine eine veritable Tabula rasa, meinte bei einer Veranstaltung der Politischen Akademie unlängst etwa Osteuropa-Historiker Wolfgang Mueller (mehr dazu im PS). Die Erzählung von Tanja Maljartschuk bietet da auf eine wunderbar kunstvolle und erzählerisch dichte Art und Weise Nachhilfe im besten Sinne. Vielleicht geht es dir beim Lesen ähnlich und du schlägst währenddessen Namen, Schauplätze, Jahreszahlen nach. So kann das Lesen etwas länger dauern, aber umso nachhaltiger wirken.
Viel gemeinsam und doch nicht gleich
In „Blauwal der Erinnerung“ taucht man als Leserin oder Leser in die Geschichten zweier Menschen ein: Die Leben der unglücklichen und unter Panikattacken leidenden Ich-Erzählerin und der historischen Figur des vergessenen ukrainischen Volkshelden Wjatscheslaw Lypynskyj werden auf eine kunstvolle Weise miteinander verknüpft. Auf Spurensuche sind bzw. waren beide und laden Leserin und Leser auch dazu ein.
Anknüpfen konnte ich an den Geschichten auch selber, so kommen ganz selbstverständlich gerade im Leben von Lypynskyj auch zahlreiche österreichische Schauplätze vor. Er verstarb letztendlich im niederösterreichischen Pernitz – was für mich persönlich umso interessanter ist, habe ich es doch zwei Pernitzern zu verdanken, dass ich 2003 eine universitäre Studienreise in die Ukraine unternehmen konnte. Dass die Welt auf gewisse Weise stets eine kleine ist, das erleben wir auch in diesen Tagen.
Große Erzählkunst
Genug der Fakten. Sie sind natürlich Grundlage für diesen Roman, für den Tanja Maljartschuk offensichtlich umfassend und sorgfältig recherchiert hat. Umso mehr will ich aber betonen, dass es sich bei „Blauwal der Erinnerung“ um ein literarisch beeindruckendes Werk handelt. Sowohl die Autorin als auch die Übersetzerin Maria Weissenböck bieten ein Leseerlebnis auf höchstem Niveau. Und lassen mit einer kunstvollen Leichtigkeit spüren, „was es heißt wenn die eigene Identität aus Angst, Gehorsam und Vergessen besteht“, wie es im Klappentext heißt.
Heute empfehle ich nicht nur, dieses Buch zu erwerben und zu lesen, sondern aus aktuellem Anlass auch die derzeit in Wien lebende Autorin Tanja Maljartschuk kennenzulernen. Der Verlag Kiepenheuer & Witsch organisiert laufend Lesungen (mehr dazu hier).
Ich wünsche eine anregende Lektüre!