Goran Vojnović: 18 Kilometer bis Ljubljana

Folio Verlag, 319 Seiten

Ein Buch, dessen Titel nach Reiseführer klingt. Und das sich als absolut fesselnder, temporeicher Roman entpuppt, der einen dann doch in andere Welten (ent)führt. In die Welt des Marko Đorđić und seiner Eltern Radovan und Ranka. Seiner Freunde Adi, Aco, Sanel, Nebojša und Dejan. Seiner Jugendliebe Alma. In das nach den Kriegen zerrüttete Bosnien. Nach Fužine, jenem Vorort von Ljubljana, in dem sich die „Tschefuren“, kaum dass sie angekommen sind, schon wieder fremd fühlen.

STARKE SPRACHE

Autor Goran Vojnović greift ordentlich in die Tasten, wenn es darum geht, die Welt des Ich-Erzählers lebendig zu machen. Es sind schnelle Dialoge und intensive (innere) Monologe in markiger Sprache. Es sind detailreiche und im besten Sinne lebensnahe Erzählungen, die Bilder entstehen lassen, die Eindruck hinterlassen. Beeindruckend ebenso wie Klaus Detlef Olof, „Grandseigneur der Übersetzer südslawischer Literatur“ diese sprachlichen Bilder ins Deutsche übersetzt.
„Verzweiflung und Perspektivlosigkeit treffen auf Situationskomik und Posertum. Ehe er sich versieht, ist dem Leser dieser Marko Đorđić schon wieder etwas näher ans Herz gewachsen“, heißt es dazu in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

STARKE THEMEN

… sind es, die Vojnović aufgreift. Es ist laut dem SWR ein „Buch über Heimat- und Identitätsverlust und die Wut derjenigen, die daran keine Schuld tragen.“ Es geht um Tod und Liebe, um Religion und Politik, um Generationenkonflikte, Drogenkonsum und Kriminalität. Es geht um Arbeitsmigration, Gentrifizierung und Entfremdung. Und es geht auch darum, was Diskriminierung mit einem anrichtet – mit den Menschen, mit ganzen Generationen.

STARKE REZENSIONEN

Internationale Medien überschlagen sich förmlich in positiven Kommentaren zu Vojnovićs 2023 in deutscher Sprache (ursprünglich in Slowenisch) erschienenem Roman. Im Deutschlandfunk heißt es etwa dazu: „Vojnovićs Literatur ist unmittelbar, zeitgenössisch und offensiv. Sie lebt von der ungeheuren Dynamik ihrer Figuren und ihrer Sprache und wirft zugleich einen kritischen Blick auf die neu entflammten ethnischen Konflikte im ehemaligen Jugoslawien.“

Und tatsächlich hat mir dieses Buch neue Perspektiven auf Ereignisse und Entwicklungen eröffnet, die sich zu meinen Lebzeiten, ja auch noch heute, in meiner unmittelbaren Nachbarschaft abspielen. Klar ist die Geschichte fiktiv, pointiert und die Darstellung subjektiv. Gerade deshalb hinterlässt sie Eindruck und fordert quasi auf, genauer hinzuschauen und mehr erfahren zu wollen über die Nachbarn und ihre Geschichten. Jedenfalls – so stimme ich dem Folio Verlag zu – ein Roman, in dem sich Lachen und Tränen mischen. Auch beim Lesen.

Herzliche Grüße,
Bettina

PS: Nach den (ex-)jugoslawischen Zerfallskriegen proklamierten im Juni 1991 Slowenien und Kroatien ihre Unabhängigkeit von Jugoslawien und strebten ihre Souveränität als Nationalstaaten an. Bereits wenige Tage später machte sich der damalige österreichische Außenminister Alois Mock für die Anerkennung der beiden Staaten stark und bereitete den jungen Staaten so den Weg auf das internationale Parkett. Dem Wirken von Alois Mock besonders rund um die Beitrittsverhandlungen Österreichs zur Europäischen Union hat die Politische Akademie in diesem Juni anlässlich seines 90. Geburtstag eine große Veranstaltung gewidmet. Einen Rückblick, auch als Video, gibt es hier.

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Buchtipps von Bettina Rausch-Amon

Bettina Rausch-Amon, geboren 1979, Mag. phil., MBA (Health Care Management), ist Präsidentin der Politischen Akademie der Volkspartei und Abgeordnete zum Nationalrat. Sie war fünf Jahre lang Mitglied des Bundesrates und weitere fünf Jahre lang Abgeordnete zum Niederösterreichischen Landtag. Sie ist Herausgeberin zahlreicher Publikationen, zuletzt des Sammelbandes „Christlich-soziale Signaturen. Grundlagen einer politischen Debatte,“ gemeinsam mit Simon Varga, und des Sammelbandes „Bürgergesellschaft heute. Grundlagen und politische Potenziale“ gemeinsam mit Wolfgang Mazal. Seit 2018 ist Rausch Mitherausgeberin des „Jahrbuchs für Politik“. Bettina Rausch ist externe Lehrbeauftragte u.a. an der IMC FH Krems und an der FH Campus Wien.

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