Ein Buch, dessen Titel nach Reiseführer klingt. Und das sich als absolut fesselnder, temporeicher Roman entpuppt, der einen dann doch in andere Welten (ent)führt. In die Welt des Marko Đorđić und seiner Eltern Radovan und Ranka. Seiner Freunde Adi, Aco, Sanel, Nebojša und Dejan. Seiner Jugendliebe Alma. In das nach den Kriegen zerrüttete Bosnien. Nach Fužine, jenem Vorort von Ljubljana, in dem sich die „Tschefuren“, kaum dass sie angekommen sind, schon wieder fremd fühlen.
STARKE SPRACHE
Autor Goran Vojnović greift ordentlich in die Tasten, wenn es darum geht, die Welt des Ich-Erzählers lebendig zu machen. Es sind schnelle Dialoge und intensive (innere) Monologe in markiger Sprache. Es sind detailreiche und im besten Sinne lebensnahe Erzählungen, die Bilder entstehen lassen, die Eindruck hinterlassen. Beeindruckend ebenso wie Klaus Detlef Olof, „Grandseigneur der Übersetzer südslawischer Literatur“ diese sprachlichen Bilder ins Deutsche übersetzt.
„Verzweiflung und Perspektivlosigkeit treffen auf Situationskomik und Posertum. Ehe er sich versieht, ist dem Leser dieser Marko Đorđić schon wieder etwas näher ans Herz gewachsen“, heißt es dazu in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
STARKE THEMEN
… sind es, die Vojnović aufgreift. Es ist laut dem SWR ein „Buch über Heimat- und Identitätsverlust und die Wut derjenigen, die daran keine Schuld tragen.“ Es geht um Tod und Liebe, um Religion und Politik, um Generationenkonflikte, Drogenkonsum und Kriminalität. Es geht um Arbeitsmigration, Gentrifizierung und Entfremdung. Und es geht auch darum, was Diskriminierung mit einem anrichtet – mit den Menschen, mit ganzen Generationen.
STARKE REZENSIONEN
Internationale Medien überschlagen sich förmlich in positiven Kommentaren zu Vojnovićs 2023 in deutscher Sprache (ursprünglich in Slowenisch) erschienenem Roman. Im Deutschlandfunk heißt es etwa dazu: „Vojnovićs Literatur ist unmittelbar, zeitgenössisch und offensiv. Sie lebt von der ungeheuren Dynamik ihrer Figuren und ihrer Sprache und wirft zugleich einen kritischen Blick auf die neu entflammten ethnischen Konflikte im ehemaligen Jugoslawien.“
Und tatsächlich hat mir dieses Buch neue Perspektiven auf Ereignisse und Entwicklungen eröffnet, die sich zu meinen Lebzeiten, ja auch noch heute, in meiner unmittelbaren Nachbarschaft abspielen. Klar ist die Geschichte fiktiv, pointiert und die Darstellung subjektiv. Gerade deshalb hinterlässt sie Eindruck und fordert quasi auf, genauer hinzuschauen und mehr erfahren zu wollen über die Nachbarn und ihre Geschichten. Jedenfalls – so stimme ich dem Folio Verlag zu – ein Roman, in dem sich Lachen und Tränen mischen. Auch beim Lesen.
Herzliche Grüße,
Bettina
PS: Nach den (ex-)jugoslawischen Zerfallskriegen proklamierten im Juni 1991 Slowenien und Kroatien ihre Unabhängigkeit von Jugoslawien und strebten ihre Souveränität als Nationalstaaten an. Bereits wenige Tage später machte sich der damalige österreichische Außenminister Alois Mock für die Anerkennung der beiden Staaten stark und bereitete den jungen Staaten so den Weg auf das internationale Parkett. Dem Wirken von Alois Mock besonders rund um die Beitrittsverhandlungen Österreichs zur Europäischen Union hat die Politische Akademie in diesem Juni anlässlich seines 90. Geburtstag eine große Veranstaltung gewidmet. Einen Rückblick, auch als Video, gibt es hier.