David Goodhart: Kopf, Hand, Herz – Das neue Ringen um Status. Warum Handwerks- und Pflegeberufe mehr Gewicht brauchen.

Penguin Verlag, 2021, 400 Seiten

Ein Autor, dessen Neuerscheinungen für mich mittlerweile ein Muss geworden sind, ist jedenfalls David Goodhart. Sein vorletztes Werk „The Road to Somewhere“ hat mich schon fasziniert, er war zu den dort angesprochenen Themen vor zwei Jahren schon Gast bei einer großen Diskussion der Politischen Akademie.

Einmal mehr legt der studierte Politikwissenschaftler und Journalist in seinem neuen Buch den Finger auf Wunden unserer Zeit und liefert gleichzeitig stringente Erklärungsmodelle für gesellschaftliche Entwicklungen.

Wir sind zu verkopft geworden, meint David Goodhart. Wahrscheinlich auch viele von uns ganz persönlich. Aber jedenfalls wir als Gesellschaft, nämlich in Hinblick auf den Wert, den wir kognitiven Fähigkeiten geben und jenen Menschen, die solche besitzen.

Peak Head!

„Kopf-Berufe“ bringen mehr Geld und mehr Geltung, egal ob in Chefetagen oder Computer-Firmen, bei Versicherungen oder in der Verwaltung, in Banken und jedenfalls in Büros. Wer sich aber die Finger schmutzig macht beim Arbeiten oder sich mit Hingabe und vollem Einsatz um Menschen kümmert, die das selber nicht können – alles zweifellos wichtige Aufgaben in unserer Gesellschaft – der bzw. die muss meist nicht nur mit weniger Einkommen, sondern auch mit geringerer Wertschätzung rechnen.

Soweit Goodharts Befund, den er ausführlich untermauert mit Studienergebnissen ebenso wie mit eindrücklichen Einzelbeispielen. Aber – und das lässt aufhorchen – er konstatiert auch, dass wir auf einen Wendepunkt zusteuern oder den schon erreicht haben. „Peak Head“ nennt er den, und sagt voraus, dass nicht nur wegen der Erfahrungen während der Corona-Pandemie „Hand- und Herzberufe“ mehr Gewicht brauchen, ja bekommen werden.

Wie konnte das passieren?

Wie kam es aber nun zu diesem Ungleichgewicht zwischen Kopf, Hand und Herz? Und gar zu „Peak Head“. Goodhart skizziert ausführlich und kurzweilig zugleich, wie sich in unterschiedlichen v.a. „westlichen“ Ländern eine Art kognitive Auslese entwickelt hat. Wirtschaftlicher Aufschwung, technische Innovationen und Automatisierung haben dazu ebenso beigetragen, wie kollektive Aufstiegserzählungen und immer wieder neu erfundene Auslesemechanismen von Bildungseinrichtungen wie Unternehmen.

Dabei sei es nicht nur zu einer weitreichenden Besserstellung von Menschen mit (zertifizierten) kognitiven Fähigkeiten gekommen, sondern letztlich auch zur Entstehung einer kognitiven Klasse, in die vorzudringen für viele Menschen unmöglich geworden ist. Wer in Handwerks- und Pflegeberufen und in anderen Bereichen, wo Hand und Herz stärker gefragt sind als (nur) der Kopf, der fühlt sich leicht abgehängt, ja auch ausgenutzt vom Rest der Gesellschaft. Das schade letztendlich wieder uns allen. Nicht nur, weil wir Menschen brauchen, die die Aufgaben in den „Hand“- und „Herz“-Berufen erledigen – wie uns zuletzt in der Corona-Pandemie mitunter schmerzlich bewusst geworden ist – sondern auch, weil der Zusammenhalt der ganzen Gesellschaft so verloren zu gehen droht.

Jetzt liegt es an …

Es muss sich also was ändern. David Goodhart ist davon überzeugt, dass es das ohnehin tun wird. Denn die Digitalisierung führt dazu, dass plötzlich auch Jobs der kognitiven Klasse nicht mehr sicher sind – künstliche Intelligenz macht’s möglich. „Die gebildeten Städter, die gegen den Populismus gestimmt haben, werden die Dinge ganz anders sehen, wenn sie selbst von Globalisierung und Rationalisierung betroffen sind“, zitiert er etwa den Wirtschaftswissenschaftler Richard Baldwin.

Was da auf uns zukommt, will jedenfalls begleitet werden. Auch von politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern, die den Rahmen setzen für Wirtscha18ft und Arbeit. Und von uns allen, die wir uns engagierter sowohl mit unseren eigenen Privilegien auseinandersetzen sollten, als auch mit den Lebensrealitäten von Mitmenschen in ganz anderen Berufen. Das viel zitierte und wohl gut gemeinte „Klatschen“ für die Supermarkt-Kassierin und den Krankenpfleger während des ersten Lockdowns kann ein Anfang sein, wird aber nicht reichen, wenn wir uns für künftige Herausforderungen wappnen wollen.

„Kopf, Hand, Herz“ sei eine „faszinierende Gesellschaftsanalyse zum Verhältnis von Kopfarbeit, Handwerk und sozialen Berufen … Was etwas fad klingen mag, birgt jede Menge Pfeffer in sich.“ Das schreibt Martin Beglinger im Februar 2021 in der NZZ. Dem kann ich nur beipflichten und dir die Lektüre dieses Buches wärmstens empfehlen.

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Buchtipps von Bettina Rausch-Amon

Bettina Rausch-Amon, geboren 1979, Mag. phil., MBA (Health Care Management), ist Präsidentin der Politischen Akademie der Volkspartei und Abgeordnete zum Nationalrat. Sie war fünf Jahre lang Mitglied des Bundesrates und weitere fünf Jahre lang Abgeordnete zum Niederösterreichischen Landtag. Sie ist Herausgeberin zahlreicher Publikationen, zuletzt des Sammelbandes „Christlich-soziale Signaturen. Grundlagen einer politischen Debatte,“ gemeinsam mit Simon Varga, und des Sammelbandes „Bürgergesellschaft heute. Grundlagen und politische Potenziale“ gemeinsam mit Wolfgang Mazal. Seit 2018 ist Rausch Mitherausgeberin des „Jahrbuchs für Politik“. Bettina Rausch ist externe Lehrbeauftragte u.a. an der IMC FH Krems und an der FH Campus Wien.

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