In diesem Frühjahr ist die Politische Akademie wieder auf Österreich-Tour, genauer: auf Österreich-Gespräche-Tour durch alle Bundesländer. Dabei laden wir ein, über Ideen und Konzepte für die Europäische Union zu reden – über die Zukunft also.
Wer sich aber mit der Zukunft der europäischen Zusammenarbeit beschäftigt, tut gut daran auch einen Blick in die Vergangenheit zu werfen. Oder eher mehrere. Denn je besser wir wissen und spüren (!) woher wir kommen, desto tragfähiger können unsere Pläne für die Zukunft werden. Und desto besser sind wir vielleicht auch darauf vorbereitet, dass sie auch scheitern können.
Sowohl Aleida Assmann als auch Tanja Maljartschuk haben sich in ihren hier empfohlenen Texten mit Vergangenheit beschäftigt, mit der Geschichte des Kontinents, seiner Menschen, mit den Wunden, die in heutigen Gesellschaften weiterwirken, mit den Trümmern, auf denen heutige Institutionen gebaut wurden. Sie tun das in den Büchern jeweils aus unterschiedlichen generationellen und disziplinären Blickwinkeln. Und haben das auch getan im Rahmen des Symposions „Die großen Erzählungen zu Europa“, das wir im März 2024 – kuratiert von Thomas Köhler und Christian Mertens – an der Politischen Akademie abgehalten haben. (Zum Nachlesen und Nachschauen gibt es die Inhalte hier.)
DIE WELT VON GESTERN FÜR HEUTE
beschreibt Tanja Maljartschuk in den Essays, die zu „Gleich geht die Geschichte weiter, wir atmen nur aus“ zusammengefasst sind. Und das so detailreich, plastisch und damit im umfassenden Sinne eindrucksvoll, dass diese Texte nachwirken. „Diese Essays sind ein Geschenk“, formuliert es der Klappentext. „Sie öffnen ein Fenster zum Verständnis des Unverstellbaren, das gerade in der Ukraine geschieht.“
In einem der Texte nimmt Tanja Maljartschuk explizit Bezug auf Stefan Zweig. Das müsste sie gar nicht, diese Referenz drängt sich beim Lesen dieses Buches an irgendeinem Punkt zwangsläufig auf. Sie vermittelt (Zeit-)Geschichte, eingewoben in Geschichten, liefert Fakten und Schicksale. Und es berührt, wie es ihr gelingt, die eigene Betroffenheit, hässliche Momente mitunter, in literarisch schöne Worte zu fassen. Ausnehmend differenziert setzt sie sich mit der Vergangenheit ihrer Familie, ihres Landes, ihrer Gesellschaft auseinander. Dabei bleibt sie – auch das bemerkenswert – trotz aller Emotion in ihrer Kritik an allzu oberflächlichen politischen Einordnungen, messerscharf analytisch. Tanja Maljartschuks Essayband entwirft die „Welt von Gestern“aufrüttelnd und anrührend zugleich für heutige Leserinnen und Leser. Er ist ein Must-Have für alle, die sich wirklich mit den Entwicklungen in Europa (nicht nur der Ukraine) auseinandersetzen wollen. Denn, so die Autorin, „sind die Traumata der Ukraine, die für ihren heutigen Zustand verantwortlich sind, nicht eigentlich allgemeineuropäische?“
[Hier geht’s weiter zum Buchtipp “Aleida Assmann: Vergangenheit die nicht vergeht”]