Karl R. Popper: Alles Leben ist Problemlösen. Über Erkenntnis, Geschichte und Politik.

Piper Verlag, 1996, 336 Seiten

Ein Buch, das schon bei meinem Papa im Bücherregal einen Fixplatz hatte, hab ich jetzt selber zu Weihnachten bekommen – wohl ein guter Grund, es wieder zur Hand zu nehmen und sofort gefesselt zu sein vom Popper-Spirit. Es sind 16 einzelne Texte, bei denen allen schon die jeweiligen Titel brandaktuell klingen. Liest man tiefer rein, fühlt man sich nahezu ertappt und meint, Karl Popper hätte – trotz seiner Aussage „Ich bin ein Optimist, der nichts über die Zukunft weiß und der daher keine Voraussagen macht“ – genau das gemacht und in die Zukunft geschaut und geschrieben.

Als Karl Popper starb, redete man noch von Umweltverschmutzung statt Klimawandel, war der Kalte Krieg noch in spürbarer Nähe und die Welt in dem Sinne macht- und verteidigungspolitisch geordnet, waren PCs zwar erfunden, aber Digitalisierung kein verbreiteter Begriff und … dennoch, die Auswahl, die Zusammensetzung, die Schwerpunktsetzung in den Texten des Buches, könnte nicht besser ins Hier und Heute passen.

Am Buch hat er bis zu seinem Tod im Jahr 1994 gearbeitet und da als eine Art Vermächtnis nochmal jene großen Themen adressiert, denen er sich Zeit des Lebens gewidmet hat: Fragen zu Erkenntnis, den Grenzen der Wissenschaft, Frieden, Freiheit, Verantwortung der Intellektuellen, zur offenen Gesellschaft und ihrer Feinde. Wer sich allein durch diese Schlagworte nicht im besten Sinn abgeholt fühlt, hat wohl die letzten 10 Jahre im Winterschlaf verbracht ;-).

Großer Sohn Österreichs

Wie so viele große Denker hat der spätere Sir (!) Karl R. Popper schon vor dem Zweiten Weltkrieg Österreich verlassen und in Neuseeland und Großbritannien gelebt und gelehrt. Seinem ursprünglichen Heimatland war er aber – nicht zuletzt wegen seiner mit Politik und Gesellschaft eng verknüpften Lebensgeschichte – verbunden und hat mit seinen Beitragen auch die Debatte hierzulande immer wieder geprägt. Ein für mich besonders wichtiger Aspekt seiner Brillanz ist die Art und Weise, auf die er große Gedanken zu großen Themen der Zeit und der Menschheit in so bestechend einfacher Sprache formuliert und sie damit zugleich eingängig und zugänglich macht.

Das Buch ist außerdem leicht zu lesen, weil die Beiträge auch einzeln – gleichsam wie in einem Nachschlagewerk – verständlich, ja in sich geschlossen sind. Die Texte ergeben aber letztlich ein wunderbares Gesamtbild, das deutlich macht, was für ein umfassend gebildeter und ganzheitlich schöpferischer Denker der Philosoph Popper war.

Gegliedert ist das Buch in zwei große Teile: Der zweite bietet „Gedanken über Geschichte und Politik“, im ersten geht es um „Fragen der Naturerkenntnis“. Und dabei fand ich vor allem den ersten Text über „Wissenschaftslehre“ höchst lesenswert, weil er grundlegend die Funktionsweise und Natur von wissenschaftlicher Erkenntnis und ihrer Weiterentwicklung erklärt – nach zwei Jahren Corona-Pandemie würde man sich wünschen, es hätte eine allgemeingültige „Lesepflicht“ für diese Zeilen gegeben. (Dass einer der wissenschaftlichen Begleiter und Erklärer der Pandemie, der TU-Professor Niki Popper, wiewohl nicht verwandt, ein Namensvetter von Karl R. Popper ist, ist vielleicht doch kein Zufall. Niki Popper hat auch Philosophie studiert und damit vielleicht von Karl Poppers wissenschaftstheoretischen Überlegungen mehr gehört als andere hierzulande.)

Radikaler Demokrat und freiheitsliebender Optimist

Mit besonderem Interesse hab ich persönlich diesmal Poppers über die Texte wiederkehrenden Betrachtungen zu Geschichte, Natur, Nutzen und Grenzen von Demokratie gelesen. Er kann deswegen als ein im besten Sinne „radikaler“ Demokrat bezeichnet werden, weil er wie kaum ein anderer in der Lage ist zu erklären, was das heißt und warum es (nicht nur für ihn) wichtig ist – wohl auch, weil er persönlich echte Tief- und Wendepunkte in Politik und Gesellschaft(en) erlebt hat.

Im besten Sinne ansteckend und geradezu wohltuend ist dann auch Poppers offen zur Schau gestellter und wohl begründeter Optimismus. Er wisse, dass „unsere Welt die beste [sei], die es je in der Geschichte gegeben hat“, schreibt er an einer Stelle des Buches. Und ermutigt damit, ebenso wie mit zahlreichen anderen Einsichten und Erklärungen, dazu sich in dieses Leben und diese Welt gestaltend einzubringen, sich von Rückschlägen nicht aufhalten zu lassen und Freiheit nicht nur zu verteidigen, sondern auch zu nutzen.

Denn alles Leben ist schließlich Problemlösen – dazu sind wir Menschen in der Lage, wenn wir denn nur wollen. Ein wichtigeres Vermächtnis konnte er uns heute ebenso Geforderten wie Gestaltenden wohl kaum hinterlassen.

Viele Freude beim Lesen und liebe Grüße,
Bettina

PS: Künstliche Intelligenz hatte Popper in dem Sinne noch nicht „auf dem Schirm“ – aber seinen Optimismus erklärt er regelmäßig auch in Zusammenhang mit seiner positiven Einstellung gegenüber Technik und deren Beitrag zum Problemlösen im besten Sinn. Ob, wann und wie Künstliche Intelligenz in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft im besten Popper’schen Sinne von Nutzen sein kann für Fortschritt und Entwicklung, darüber haben sich namhafte Expertinnen und Experten bei unserem Online-Symposion “KI und Demokratie” Gedanken gemacht. Zum Nachschauen gibt es alle Beiträge hier.

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Buchtipps von Bettina Rausch-Amon

Bettina Rausch-Amon, geboren 1979, Mag. phil., MBA (Health Care Management), ist Präsidentin der Politischen Akademie der Volkspartei und Abgeordnete zum Nationalrat. Sie war fünf Jahre lang Mitglied des Bundesrates und weitere fünf Jahre lang Abgeordnete zum Niederösterreichischen Landtag. Sie ist Herausgeberin zahlreicher Publikationen, zuletzt des Sammelbandes „Christlich-soziale Signaturen. Grundlagen einer politischen Debatte,“ gemeinsam mit Simon Varga, und des Sammelbandes „Bürgergesellschaft heute. Grundlagen und politische Potenziale“ gemeinsam mit Wolfgang Mazal. Seit 2018 ist Rausch Mitherausgeberin des „Jahrbuchs für Politik“. Bettina Rausch ist externe Lehrbeauftragte u.a. an der IMC FH Krems und an der FH Campus Wien.

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