Gastkommentar: Grenzen des politischen Anstands

Bei “Dirty Campaigning” geht es nicht nur um Wahlergebnisse. Es geht auch um politische Kultur und politische Moral. Es geht um den Zustand und die Zukunft unserer Demokratie.

Für einige war es “nur” lästig und persönlich belastend, andere haben dadurch Ämter oder Wahlen verloren. Gemeint ist “Dirty Campaigning”, die besonders perfide Machart politischer Kampagnen. Eine Methode, die mehr beschädigt als den politischen Gegner – nämlich Politik und Demokratie, das Vertrauen in den Staat insgesamt. Dem muss sich eine aufgeklärte und kritische Zivilgesellschaft entgegenstellen. Konzertierte Plakatschmieraktionen, Twitter-Trolle und Social-Media-Bots, Fake-Seiten auf Facebook und schier inflationär gewordene anonyme Anzeigen sind heute an der Tagesordnung. Es scheint nur noch darum zu gehen, Gerüchte zu streuen, sagen zu können: “Die Justiz ermittelt” – einfach mit dem Ziel, dass irgendetwas davon hängen bleibt. Leider geht diese Taktik auf. Und wir gewöhnen uns an diese Praktik. Das sollten wir aber nicht!

Schmutzige Politik

Der Politikberater Thomas Hofer plädiert dafür, zwischen “Negative Campaigning” und “Dirty Campaigning” klar zu unterscheiden. Ersteres sei “State of the Art”, während bei zweiterem eine Grenze überschritten werde. “Dirty” wird es für ihn dann, wenn nicht beweisbare Gerüchte gestreut werden. Dabei geht es auch nicht um Themen oder Inhalte, sondern rein um Persönliches und Privates.

Dass “Negative Campaigning” funktioniert, freut mich persönlich zwar nicht, ist aber wissenschaftlich unbestritten. Das muss ich akzeptieren. Es ist ja auch so alt wie die Geschichte der Politik selbst. Sogar schriftlich dokumentiert schon im Jahr 64 vor Christus, im antiken Rom. Damals hat Markus Tullius Cicero, der große Redner und Staatsmann, für das Amt als Konsul kandidiert. Sein Bruder Quintus schrieb ihm einen Brief, mit dem er als erster Wahlkampfratgeber in die Geschichte einging. Darin heißt es: “Es wäre auch nicht verkehrt, das Publikum daran zu erinnern, was für Halunken deine Gegner sind, und bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Verbrechen, Sexskandale und Korruption anzukreiden, in die diese Männer verstrickt sind.” Ein Ratschlag, der an der Grenze zwischen “Dirty” und “Negative” balanciert. Und der, obwohl mehr als 2.000 Jahre alt, frappierend an heute erinnert.

Beispiele für eindeutiges “Dirty Campaigning” gibt es zuhauf. Nicht nur in den USA – das wohl berühmteste war die Behauptung, Präsident Barack Obama sei nicht den USA geboren und seine Wahl daher ungültig -, sondern auch in Österreich. Über den seinerzeitigen Salzburger Landeshauptmann Franz Schausberger wurde verbreitet, er schlage seine Frau. Den Landeshauptleuten Josef Pühringer (Oberösterreich) und Erwin Pröll (Niederösterreich) wurden Ehebruch und uneheliche Kinder unterstellt. Bundeskanzler Wolfgang Schüssel wurde vorgeworfen, eine illegale Pflegerin für seine Schwiegermutter beschäftigt zu haben – erst nach Wahl stellte ein Gericht fest, dass es dafür “keinerlei Anzeichen” gebe.

Die Justiz ermittelt

Eine noch perfidere Steigerungsform ist der Missbrauch der Justiz für politische Kampagnen. Die Vorgangsweise ist ebenso einfach wie durchsichtig – und meist erfolgreich. Eine Anzeige, oft anonym, und schon kommt der Prozess in Gang. Die Justiz ermittelt, die Medien berichten, und politische Propagandisten befeuern die öffentliche Hinrichtung. “Die mediale Vorverurteilung wirkt heute schon viel stärker als die tatsächliche Verurteilung durch das Gericht”, hat Christian Schertz, deutscher Jura-Professor und Rechtsanwalt einiger prominenter Persönlichkeiten, vor kurzem bei einem Online-Symposium der Politischen Akademie festgestellt.

Ähnlich sieht das Rudolf Bretschneider, der Doyen der österreichischen Meinungsforschung: “Häufig hat die anonyme Anzeige ihren Zweck des Vertrauensverlustes schon erfüllt, wenn sie in den Medien auftaucht”, analysiert er mit demoskopischem Blick und ortet in dieser Vorgangsweise einen “moralischen Verfall aus wahltaktischen Gründen”. Gehässigkeit scheine “ein klassisches Element der Politik” zu sein, kritisiert die Philosophin und Medienethikerin Claudia Paganini von der Uni München. Aus ihrer Sicht ist auch in der Politik “aus ethischer Perspektive zu fordern, dass die Menschenwürde gewahrt wird”.

Die verfassungsmäßig garantierte Unschuldsvermutung verkommt in der Realität zur reinen Theorie in Form eines formal erforderlichen Beisatzes. Was bei Rezipientinnen und Rezipienten ankommt, ist, dass schon irgendetwas dran sein werde. Dass das gewollt ist, ist natürlich eine Unterstellung, wenn auch eine naheliegende.

Beträfen diese Spielarten des “Dirty Campaigning” nur die Wahlergebnisse von Parteien, könnte man es als Herausforderung für politische Kommunikation abtun. Tatsächlich aber geht es um mehr. Es geht um politische Kultur und politische Moral. Es geht um den Zustand und die Zukunft unserer Demokratie. Unwahre Unterstellungen, verleumderische Gerüchte und unberechtigte Vorverurteilungen schaden nicht nur dem oder der Betroffenen, sondern untergraben das Vertrauen in die Demokratie insgesamt. Viele Urheber und Verbreiter solcher Unterstellungen handeln aus ihrer politischen Überzeugung heraus, sie sind überzeugt, das moralisch Richtige erreichen zu wollen. Ihr Motto ist: Der Zweck heiligt die Mittel. Aber das tut er nicht. Wer so agiert, dem fehlt es an demokratischem Grundverständnis.

Hinterfragen statt mitheulen

Überzeugte Demokratinnen und Demokraten sollten sich daran nicht gewöhnen, sondern dagegen ankämpfen. In Gesprächen und im Internet nicht mitheulen, sondern hinterfragen. Die öffentliche Empörung nicht gegen unfair Beschuldigte richten, sondern gegen die schmutzigen Methoden. Weil es unserer Demokratie guttut, wenn ein fairer Wettbewerb und eine saubere Auseinandersetzung den Diskurs dominieren. Nur so kann Politik attraktiv sein für Menschen mit Anstand und Sachlichkeit, wie wir sie uns ja in politischen Funktionen wünschen.

Ich betreibe Politik aus Leidenschaft und mit Leidenschaft, schon seit vielen Jahren. Ich will Gesellschaft gestalten, ich mag den politischen Diskurs, den Austausch von Argumenten. Und ich bin der Meinung, dass Politik und Demokratie, der Vertrauen entgegengebracht werden soll, ein Mindestmaß an Fairness und Ehrlichkeit voraussetzt. Wer schmutzig kampagnisiert, überschreitet die Grenzen des Anstands und schadet unserer Demokratie. Als aufgeklärte und kritische Zivilgesellschaft in einer liberalen Demokratie müssen wir diesen Grenzüberschreitungen entgegentreten.

Der Artikel als PDF zum Download

01.04.2021, Wiener Zeitung

Facebook
Twitter
Telegram
WhatsApp
Email

Weitere Themen