Gastkommentar: Gleichberechtigung wird selbstverständlich

Die Verantwortung für Arbeit und Familie ist in einer Hand – einer Frauenhand.
Neun Frauen und acht Männer bilden also die neue türkis-grüne Bundesregierung. Einfach so. Ohne vorher lange über Quoten oder Reißverschlüsse zu diskutieren. Ohne Frauen zu suchen, weil man halt “noch eine Frau” brauche. Nicht mit Schielen auf die Optik, sondern mit klarem Blick auf die Sache. Man mag es von den Grünen erwartet haben, bei der neuen Volkspartei überrascht es vielleicht doch.

Ein Kommentar von Bettina Rausch

Wobei: Mich persönlich überrascht es eigentlich nicht. Ja, Gleichberechtigung wird selbstverständlicher. Es ist eine neue Generation an Politikern (auch Politikerinnen, aber in dem Fall erscheint die maskuline Form doch treffender) am Werk. Eine Generation, die einen in jeder Hinsicht unverkrampften Zugang hat zu Frauen, zu Gleichberechtigung, zu Vertrauen und Zutrauen. Weder haben sie Sorge, wie es denn ginge mit Frauen in einem Team und ob man ihnen solche Verantwortung zutrauen könne; noch verspüren sie external bestimmten Druck, doch eine oder sogar mehrere Frauen ins Team zu nehmen. Sie tun es einfach.

ÖVP-Obmann Sebastian Kurz gehört zu dieser Generation, Grünen-Chef Werner Kogler ist eine andere Generation, denkt aber offenbar ähnlich – natürlich gibt es auch in früheren Generationen Männer mit diesem unverkrampften Zugang. Ohne übertrieben postulieren zu wollen, dass heute schon alle Jungen so denken, kann man doch sagen, dass es mehr sind als früher.

Als gerade das vierte Lebensjahrzehnt abgeschlossen Habende stehe ich wahrscheinlich ziemlich genau am Scheidepunkt dieser Entwicklung. Als ich mich politisch zu engagieren begann, war Politik eindeutig männlich dominiert, ihr Habitus war maskulin. Heute ist das deutlich anders. Die Anwesenheit von Frauen – auch und vor allem in führender Rolle – ist viel selbstverständlicher.

Es geht aber nicht nur um Personen, sondern auch um Inhalte. Und da halte ich das Zusammenführen von Arbeit und Familie für den wichtigsten Schritt in Richtung echter und selbstverständlicher Gleichberechtigung. Die größte Hürde, die Frauen immer noch spüren, erleben und erdulden, ist die Herausforderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Und auch Männer spüren diese Herausforderung immer öfter.

Wenn wir von echter, von selbstverständlicher Gleichberechtigung reden, ist ja klar, dass auch Männer am Familienleben, an der Begleitung der Kinder, auch der kleinsten, teilhaben – ja mehr noch: echte Verantwortung übernehmen. Echte Gleichberechtigung haben wir dann erreicht, wenn auch Männer die Herausforderung spüren, Familienverantwortung und berufliches Engagement gleichermaßen zu erfüllen. Oder noch besser: Noch bevor es dazu kommt, schaffen wir Rahmenbedingungen, die echte Vereinbarkeit möglich machen. Und für dieses Ziel ist die Verantwortung für Arbeit und für Familien in einer Hand – noch dazu in Frauenhand – die Lösung mit dem größten Erfolgspotenzial.

Was Sebastian Kurz und Werner Kogler hier geschafft haben – inhaltlich und personell – wird eine richtige und notwendige gesellschaftliche Entwicklung beschleunigen, nämlich die Selbstverständlichkeit echter Gleichberechtigung. Möge die Übung gelingen.

 

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09.01.2020, Wiener Zeitung

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