Kommentar: Bildung begleitet mein Leben – Gedanken zu einer werteorientierten Bildungspolitik

2018, Festschrift Prof. Kreiml

„Das Ziel der Bildung ist das Menschwerden“ – Pater Ferdinand Karer, Direktor des Gymnasiums Dachsberg in Oberösterreich, bringt auf den Punkt, worum es auch mir geht, wenn es um Bildung geht. Ebenso prägnant wie treffend drückt er aus, dass Bildung kein Selbstzweck ist, sondern der ständigen Entwicklung des Menschen dient.

Ein Kommentar von Bettina Rausch

Er formuliert damit ein hehren Anspruch, dem gerecht zu werden einerseits eine  Aufgabe für alle mit Bildung befassten Institutionen ist, anderseits aber auch – ich will es besonders betonen, weil es nur allzu oft vergessen wird – eine Anforderung an jede Einzelne und jeden Einzelnen ist.

Mich persönlich begleitet Bildung schon mein ganzes Leben lang in ganz unterschiedlichen Facetten. Natürlich als „Konsumentin“ von Bildung von Schule über Universität bis hin zu ständiger formeller und informeller Weiterbildung. Darüber hinaus auch als Vermittlerin und Begleiterin von Bildung in Vorträgen und Seminaren. Und schließlich als Politikerin, als die ich mich von Beginn an besonders für die Mitgestaltung der Bildungspolitik und der Rahmenbedingungen für Bildung interessiere und engagiere.

Welche persönlichen Erfahrungen, Überzeugungen und Werte mich dabei leiten, will ich in diesem Text zum Ausdruck bringen.

Die Rolle der Kirche

Es ist nicht überraschend, dass eine so grundsätzliche Beschreibung des Bildungsbegriffs, wie ich sie zum Einstieg zitiert habe, von einem Leiter einer kirchlichen Bildungseinrichtung formuliert wird – ist doch das österreichische Bildungswesen vom Mittelalter bis in die Gegenwart und wohl auch in Zukunft untrennbar mit der katholischen Kirche verbunden. Überhaupt ist festzustellen, dass Kirchen die Etablierung und Entwicklung von Bildung stets vorangetrieben haben – und zwar in allen Weltgegenden und unabhängig von der Religion.

Die ersten formalen Bildungseinrichtungen in Österreich, ja überhaupt auf unserem Kontinent, wurden von der Kirche eingerichtet und betrieben. Im Mittelalter kümmerte sie sich aus naheliegenden Gründen in erster Linie um die Ausbildung des geistlichen Nachwuchses, aber auch um die Erziehung männlicher vorwiegend adeliger Jugend. Erst im Spätmittelalter kam es in den Städten zur Ausbildung eines eigenen Schultyps mit deutscher Unterrichtssprache, die aus Bildungsansprüchen der Bürgerinnen und Bürger resultierten – eine Verschiebung zugunsten weltlicher Interessen.

In der Zeit der Aufklärung wurde das Schulwesen zu einer „öffentlichen Angelegenheit“, staatliche Schulen ergänzten die kirchlichen. Das Interesse des Staates an der Bildung seiner Bürgerinnen und Bürger stieg an. Infolge der Revolution von 1848 verlor die Kirche ihre besondere Stellung. Das Recht des Staates zur obersten Leitung des Unterrichts- und Erziehungswesens setze sich durch. Ordensschulen wurden Privatschulen und somit von staatlichen Bestimmungen abhängig.

Dennoch ist die katholische Kirche weiterhin eine wesentliche Säule des österreichischen Bildungssystems. Konkordate mit dem Hl. Stuhl bieten Rechtssicherheit durch den Erwerb des Öffentlichkeitsrechtes und ökonomische Sicherheit, in dem die Lehrerinnen und Lehrer vom Staat finanziert werden.

Einige aktuelle Zahlen unterstreichen die Bedeutung der Rolle der Kirche: Im Schuljahr 2016/2017 besuchten 72.412 Kinder eine katholische Privatschule (= 6,5% aller Schülerinnen und Schüler). Rund 70% der katholischen Privatschulen sind Ordensschulen, die von knapp 50.000 Schülerinnen und Schüler besucht werden. Die Zahl der katholischen Privatschulen betrug in diesem Schuljahr 341, mehr als 80% (!) von ihnen werden von Frauenorden geführt.

Die Kirche führt auch vier pädagogische Hochschulen. Derzeit werden an den Kirchlichen Pädagogischen Hochschulen (KPH) in reiner kirchlicher Trägerschaft 4.600 Studierende für den Unterricht in verschieden Schultypen ausgebildet. In der Fort- und Weiterbildung betreuen die vier KPH 22.000 Studierende jährlich.

Erste Prägungen am Stiftsgymnasium Melk

Einer katholischen Privatschule habe auch ich wichtige und für mein weiteres Leben prägende Bildungserfahrungen zu verdanken. Ich habe das Stiftsgymnasium der Benediktiner in Melk absolviert. Wenn ich im Folgenden aus dem Leitbild „meiner“ Schule zitiere, so möchte ich damit zum Ausdruck bringen, dass ich mich nach wie vor diesem verpflichtet fühle, mich davon leiten lasse, weil es über die Zeiten hinweg Gültigkeit besitzt.

Damit wird allerdings auch deutlich, dass Bildung mit einer Wertehaltung zusammenhängt. Das bedeutet, dass die Beschäftigung mit „Bildung“ politisch brisant ist, unterschiedliche Wertewelten werden selten so deutlich wie in der Bildungspolitik, wie die zum Teil erbitterten Auseinandersetzungen zwischen Parteien bei diesem Thema zeigen.

Weil das Leitbild des Stiftsgymnasiums der Benediktiner in Melk aus meiner Sicht als Leitschnur für Bildungspolitik insgesamt dienen kann, darf ich es hier in voller Länge zitieren:

„Unsere Erziehungsaufgabe besteht darin, die uns anvertrauten jungen Menschen zu begleiten und zu ermutigen:

  • Zur Entfaltung ihrer gesamten Persönlichkeit, indem wir nicht nur Wissen vermitteln, sondern darüber hinaus personale Beziehungen ermöglichen wollen.
  • Zu einer Bildung, die auf der Tradition aufbaut und zugleich zukunftsorientiert ist, indem eine breit fundierte Allgemeinbildung vermittelt wird, die im Leben Orientierung gibt, berufliche Flexibilität ermöglicht und die Kulturtechniken der Zeit mit einschließt.
  • Zu einer Lern- und Leistungsbereitschaft, in der alle herausgefordert sind, ihre Fähigkeiten und Begabungen zu entdecken, zu entfalten und einzubringen.
  • Zu Freiheit, die Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft und Umwelt übernimmt und Grenzen anerkennt. Zu Solidarität, die auf den Einzelnen Rücksicht nimmt, was in einem Schulklima zum Ausdruck kommt, in dem sich alle wohl fühlen.
  • Zu einer bewussten Lebensgestaltung aus dem Glauben, der im schulischen Alltag, im Umgang mit den Mitmenschen, im kritischen Handeln und im ehrlichen Austragen von Konflikten sichtbar wird.“

Wir sehen, dass der Bildungsbegriff hier sehr breit verstanden wird, ganz im Sinne des eingangs zitierten Begriffs der „Menschwerdung“. Und so habe ich auch meine acht Jahre an dieser Schule erlebt – nicht nur als Wissensvermittlung, sondern auch als Persönlichkeitsentwicklung als Individuum und als „soziales Wesen“.

Verschiedene Interessen und Begabungen zu entdecken, die Lust, Neues kennenzulernen und zu lernen – das haben meine Lehrerinnen und Lehrer erfolgreich verstärkt. Und so war die Matura nicht das Ende, sondern nur eine Zwischenstation auf meiner persönlichen Bildungsreise.

Bildung begleitet mein Leben

Bildung hat mich bisher nicht mehr losgelassen – und zwar in ganz verschiedenen Kontexten. Die Lust, neue Länder und Kulturen zu entdecken, hat mich motiviert, ein Tourismuskolleg zu absolvieren. Damit war mein Bildungshunger aber noch nicht gestillt, und ich habe an der Universität Wien immatrikuliert. Die Vielfalt des Angebots nutzend, habe ich Vorlesungen und Seminare verschiedener Studienrichtungen besucht – Rechtswissenschaften, Publizistik und Kommunikationswissenschaften sowie Politikwissenschaften – und das Studium schließlich mit einer Fächerkombination abgeschlossen.

Hinzu kamen weitere Fortbildungen in Zusammenhang mit politischen und beruflichen Aufgaben – von einer Ausbildung als Seminartrainerin bis hin zur Ausbildung zur diplomierten Krankenhaus-Betriebswirtin.

Bildung begleitet mich aber auch in meinem politischen Leben. Bereits in der Jungen Volkspartei war mir das Thema besonders wichtig. Mein Motto damals – dem ich bis heute treu geblieben bin: Schule muss aufs Leben vorbereiten. In diesem Sinne haben wir informiert, diskutiert und konzipiert.

Und viel gelernt. Zum Beispiel dass Max Weber völlig recht gehabt hat, als er in „Politik als Beruf“ festgestellt hat: „Die Politik bedeutet ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich.“ Für die Bildungspolitik gilt das in ganz besonderem Maß.

An dieses „Bohren von harten Brettern“ hab ich mich dann auch gemacht, als ich als Bildungssprecherin der Volkspartei Niederösterreich im niederösterreichischen Landtag Bildungspolitik aktiv mitgestalten konnte. Während die schulpolitische Diskussion nur allzu oft eine „Türschild-Debatte“ war („Was soll auf der Schule draußen draufstehen?“) war mir immer wichtiger, was in der Schule drinnen passiert – nämlich was unterrichtet wird und wie unterrichtet wird. Daher rührt auch meine Überzeugung, dass die Persönlichkeit von Lehrerinnen und Lehrern weit mehr zum Erfolg von Schule beiträgt als schulorganisatorische Fragestellungen. In diesem Sinn war und ist es mir wichtig, Lehrerinnen und Lehrern Wertschätzung entgegenzubringen und sie bestmöglich dabei zu unterstützen, ihren Job zu machen.

Ein Beispiel für die Frage, was in der Schulen passieren soll, ist die „Politische Bildung“. Die Forderung nach einem Unterrichtsgegenstand zu diesem Thema ist wahrscheinlich älter als ich. Und sie wird immer wieder von unterschiedlichsten Gruppen erhoben, von den politischen Parteien genauso wie von Schülervertretern und Jugendorganisationen. Seit ich Regierungsprogramme kenne, ist dort das Ziel des Ausbaus Politischer Bildung festgehalten.

Den einen konkreten Unterrichtsgegenstand – eine schwierige schulorganisatorische Frage – gibt es immer noch nicht. Aber man muss anerkennen, dass doch immer wieder Schritte gesetzt werden, um Politische Bildung in der Schule zu verstärken.

Eine neue Aufgabe: Politische Akademie der Volkspartei

Seit März 2018 darf ich eine neue Aufgabe ausfüllen, die „Politik“ und „Bildung“ aufs Engste verbindet. Als Präsidentin der Politische Akademie leite ich eine Institution, die „Politische Bildung“ in einem umfassenden Sinn gestaltet und lebt.

Nach der Wiederaufbauphase nach dem Zweiten Weltkrieg, der Wiederrichtung der Republik und der Festigung politischer und demokratischer Strukturen in unserem Land, hat sich die Überzeugung durchgesetzt, dass es neben den politischen Parteien auch Orte für politische Bildungsarbeit braucht.

Diese Parteiakademien sind Institutionen, an denen

  • die konkrete Politik im Lichte der eigenen Grundsätze hinterfragt und weiterentwickelt wird;
  • die Politik und die Grundsätze der politischen Mitbewerber analysiert und mit den eigenen verglichen werden;
  • Mandatarinnen und Mandatare, Funktionärinnen und Funktionäre sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die eigenen Grundsätze mit den neuesten Erkenntnissen der Wissenschaft konfrontieren können und sie so die praktische Politik weiterentwickeln können;
  • neue und zukünftige Funktionärinnen und Funktionäre wie auch allgemein politisch Interessierte Aus- und Weiterbildungsangebote wahrnehmen können;
  • man lernt, mit Menschen in Beziehung zu treten, sich verständlich auszudrücken, zu überzeugen, partnerschaftlich zu agieren, aber auch Führungsaufgaben zu übernehmen.

Angesichts der Notwendigkeit solcher Einrichtungen im Interesse einer lebendigen Demokratie wurde im Jahre 1972 mit dem „Bundesgesetz über die Förderung politischer Bildungsarbeit und Publizistik“ ein institutioneller und ökonomischer Rahmen für diese Parteiakademien geschaffen.

In der konkreten Umsetzung dieser Aufgabe sehe ich die Politische Akademie als Ort für die ständige Weiterentwicklung der Volkspartei.

Wir sind zum einen eine Bildungseinrichtung für Politikerinnen und Politiker, für haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im politischen Umfeld und für politische Interessierte. Von Vorträgen über Seminare bis hin zu traditionellen und neuen Medien bieten wie eine breite Angebotspalette.

Zum zweiten sehen wir uns als Türöffner für neue Menschen und neue Ideen. Anders als in formalisierten Parteistrukturen bieten wir niederschwellige Möglichkeiten zum mitdenken und mitdiskutieren. Unter Einbindung von Expertinnen und Experten – aus der Wissenschaft genauso wie aus der Praxis – entwickeln wir neue Ideen, die über die kurzfristige Tagespolitik hinausgehen.

Und schließlich sind wir das Wertezentrum der Volkspartei. Wir bieten „Bildung und Forschung im Dienste einer Weltanschauung“, wie der Titel einer Publikation der Politischen Akademie aus Anlass des zehnjährigen Bestehens lautete. Um es mit dem Benediktinerpater Anselm Grün zu sagen: „Nur wer seine Wurzeln kennt, kann wachsen.“ In diesem Sinn stellen wir unser christlich-humanistisches Menschenbild und die daraus abgeleiteten Grundwerte ins Zentrum unserer Arbeit.

Es ist meine tiefste Überzeugung, dass der Politik immer ein bestimmtes Menschenbild zu Grunde liegt und dass sich Menschen mit ähnlichem Menschenbild zu politischen Parteien zusammenfinden. Erst ein gemeinsames Menschenbild macht gemeinsames Arbeit möglich, gibt der Politik einen logischen Rahmen und macht letztlich politische Entscheidungen verständlich und erklärbar.

Gedanken zum Bildungsbegriff

Bevor ich nun mein Verständnis einer werteorientierten Bildungspolitik auf der Grundlage unseres christlich-humanistischen Menschenbildes formulieren kann, ist noch die Frage zu klären, was denn Bildung eigentlich ist. Die Meinungen darüber gehen durchaus auseinander, eine einheitliche Definition von „Bildung“ gibt es nicht. Bildung hat sicherlich mit Wissen, mit Lernen und Lehren, aber auch mit Kenntnis und Erkenntnis zu tun. Ist das alles?

Ich komme nicht umhin, nun auf Wilhelm von Humboldt hinzuweisen, der mit seinem Bildungsideal als „Urvater“ der modernen Auffassung von Bildung gilt. Humboldt definierte Bildung als „die Anregung aller Kräfte des Menschen, damit diese sich über die Aneignung der Welt entfalten und zu einer sich selbst bestimmenden Individualität und Persönlichkeit führen“. Es geht also um mehr als um den bloßen Wissenserwerb, es geht um Persönlichkeitsentwicklung, es geht um die Förderung von Talenten.

In unserer modernen Welt, die durch einen enormen Zuwachs an technischem und naturwissenschaftlichem Fortschritt gekennzeichnet ist, der auch wirtschaftliche Prosperität zur Folge hatte, kommen ganzheitliche Bildungsideale unter Druck. Das extreme Anwachsen und die Differenzierung von Wissen und kulturellen Ausdrucksformen tun ein Übriges dazu, dass es immer schwieriger wird, zu einem allgemein anerkannten und verbindlichen Bildungskanon zu gelangen. Wirtschaft und Wissenschaft suchen nach Spezialisten. Es scheint sich teils der Zugang auszubreiten, Wissen und Bildung vorrangig nach einem monetären Mehrwert zu beurteilen.

Für mich gibt es in dieser Frage kein entweder-oder: Spezialist oder Generalist. Unbestritten ist die Notwendigkeit von Spezialisten, um die Komplexität unseres Universums beherrschbar zu machen, aber wir werden die Welt nicht erklären können, wenn wir uns nicht all unserer Fähigkeiten und Eigenschaften besinnen und diese auch einsetzen. Ich bin überzeugt, dass das Humboldt‘sche Bildungsideal keinesfalls verschwunden oder gar obsolet geworden ist, wir müssen es wahrscheinlich neu denken, neu formulieren, jeden Tag aufs Neue mit Leben füllen.

Bildung in unserem Menschenbild

Ich selbst habe auch keine fertige Formulierung „auf Lager“. Ich kann nur versuchen, einige Gedanken zu formulieren, wie ich Bildung auf der Grundlage unseres christlich-humanistischen Menschenbildes verstehe. Diesem Verständnis folgen auch die Ziele der Bildungspolitik im aktuellen Regierungsprogramm, die ich im Zuge der Regierungsbildung mitverhandeln und mitformulieren durfte.

Selbstverständlich ist das Bekenntnis zu einem uneingeschränkten Recht auf Bildung. Bildung ist ein Menschenrecht, das Recht auf Bildung ist möglichst umfassend zu verwirklichen, weil Bildung die Grundlage für die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und der Teilhabe an der Gesellschaft ist. Der Zugang zu Bildung ist für alle Menschen eine Voraussetzung für eine chancengerechte Gesellschaft.

Jeder Mensch ist einzigartig, ist Individuum, diese Unterschiedlichkeit ist ein ganz zentraler Aspekt unseres Menschenbildes und unterscheidet uns ganz grundsätzlich von anderen politischen Parteien und Akteuren. Jeder Mensch hat unterschiedliche Talente und Begabungen, aber auch Träume und Ziele. Nun kommen zwei unserer elementaren Werte ins Spiel: Freiheit und Verantwortung. Der Mensch ist frei in seiner Entscheidung, seine Talente und Begabungen zu nutzen, aber er trägt auch ein gerüttelt Maß an Verantwortung, seine Fähigkeiten zur Erreichung seiner Lebensziele zu nutzen.

Es ist naheliegend, an dieser Stelle das Gleichnis von den anvertrauten Talenten (Mt 25,14-30; Lk 19,12-27) in Erinnerung zu rufen: Der Mensch ist mit Gaben (Talenten) ausgestattet, die er zu nutzen hat, nicht zu verstecken. Nur wer seine Talente nutzt und mehrt, wird belohnt.

Aus dieser Überzeugung des Menschen als mit unterschiedlichen Talenten ausgestattetes Individuum folgt unmittelbar: Wir sind gegen Gleichmacherei, sondern für ein Bildungssystem, das Talente und Begabungen fördert, das Menschen – egal welchen Alters – am Weg zur eigenen Entfaltung fördert und positiv begleitet.

Wir sind dafür, dass Entscheidungen möglichst vor Ort, möglichst unmittelbar von der kleinstmöglichen Einheit getroffen werden. Das heißt zum Beispiel im Schulsystem: möglichst große Schulautonomie, Entscheidungen werden vor Ort getroffen, Schwerpunkte vor Ort gesetzt. Das ist gelebte Subsidiarität.

Wie im übrigen Leben auch können wir in Zusammenhang mit Bildung nicht auf Leistung verzichten. Man darf Leistung verlangen, weil ja die Allgemeinheit, also wir alle, die für das Bildungssystem notwendigen Mittel aufbringen. Dazu gehört auch eine Bildungsverpflichtung, die nicht durch Zeitablauf erfüllt ist, sondern an die Erreichung bestimmter Bildungsziele geknüpft ist – manche brauchen dafür mehr Zeit.

Weil wir Leistung verlangen, brauchen wir auch ein klares Beurteilungssystem, das den Schülerinnen und Schülern Orientierung und Ansporn zugleich ist.

Wenden wir uns nun auch den Pädagoginnen und Pädagogen zu. In einem ist sich die Bildungsforschung einig: Der zentrale Faktor für Bildungserfolg ist die Persönlichkeit der Pädagogin und des Pädagogen. Wir brauchen für unser Bildungssystem die besten, die auch ihr Bestes geben und dafür leistungsorientiert entlohnt werden. Diese haben auch im Sinne einer Bildungspartnerschaft keine Angst vor Feedback durch Schülerinnen und Schüler oder vor Mitarbeitergesprächen mit Vorgesetzen.

Das alles ist wichtig. Aber es bleibt, in meinem Verständnis, unvollständig, wenn nicht noch eine Kompetenz hinzukommt, die ich wiederrum aus meinem Verständnis unseres christlich-humanistischen Menschenbildes ableite: Der Mensch kann nur innerhalb der Gemeinschaft existieren.

Als soziales Wesen darf der Mensch bei seiner eigenen Selbstentfaltung niemanden anderen beeinträchtigen. So bedarf es der verantwortlichen Selbstverwirklichung des einzelnen. Dazu gehören die Fähigkeiten, Gedanken, Emotionen, Absichten und Persönlichkeitsmerkmale eines anderen Menschen nachempfindend erkennen zu können. Das heißt, auch Empathie als Lebens- und Handlungsorientierung ist im Bildungssystem zu vermitteln.

Zusammengefasst sind wir als wieder bei den klugen Worten von Pater Ferdinand Karer: „Das Ziel der Bildung ist das Menschwerden.“ Ein Anspruch, der uns täglich fordert; aber auch ein Ansporn, der uns Kraft geben kann.

Ja, Bildung und Bildungspolitik zu gestalten ist ein unglaublich aufregender und dynamischer Prozess, der nie abgeschlossen sein kann. Umso wichtiger ist die Mitgestaltung durch die verschiedenste Akteure – von staatlichen Institutionen über Kirchen und Vereine bis hin zu engagierten, bildungsbewegten Menschen. Ich freue mich, dass ich das weiterhin in verschiedenen Rollen tun kann. Und ich freue mich, das mit vielen anderen gemeinsam zu tun.

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