Impulse zur Migration: Wie viele können wir integrieren?

In der Veranstaltungsreihe „Impulse” widmet sich die Politische Akademie heuer Themen, die in der Öffentlichkeit sehr aufgeregt diskutiert und moralisch aufgeladen werden. Der Anspruch ist dabei über diese Themen sachlich und mit wissenschaftlichem Blick zu diskutieren, wie es einer bürgerlichen Debattenkultur entspricht. Nach Veranstaltungen zum Thema „Klimaschutz“ und „sozialer Gerechtigkeit“ fand am 20. März 2023 im Haus der Begegnung in Innsbruck das letzte Event der Reihe mit dem Titel „Migration – Das Spannungsfeld zwischen Flucht, Armutsmigration und Arbeitskräftebedarf“ statt.

Mehr Sachlichkeit in der Debatte

Gleich zu Beginn betonte Bettina Rausch, Nationalratsabgeordnete und Präsidentin der Politischen Akademie, die Wichtigkeit, die polarisierte Debatte um Migration sachlicher zu führen. Die Diskussion sollte mit Leidenschaft, aber mit weniger Emotion geführt werden. Es stünden sich dabei mit Ausländerfeindlichkeit und Willkommenskultur zwei extreme Pole gegenüber. Dazwischen gebe es viele Positionen und Abstufungen. „Wir sind gemeinsam in einem Staat und wollen gut miteinander auskommen und gemeinsam in die Zukunft gehen“, erklärte Rausch ihre Grundhaltung zum Thema Migration und vor allem auch der Integration jener, die bereits hier sind.

Auch Christoph Appler, Innsbrucker Stadtparteiobmann, Gemeinderat und Landtagsabgeordneter, warnte vor Schwarz-Weiß-Denken beim Thema Migration und plädierte für einen inhaltlichen Diskurs. Er wies auch auf die besondere Rolle von Städten bei diesem Thema: „Urbane Räume sind natürlich immer Hotspots in der Frage der Migration und der daraus resultierenden Ergebnisse.“ Es sei deshalb auch wichtig und richtig dieses Thema an einem solchen Hotspot zu diskutieren. Sebastian Kolland, Landesgeschäftsführer der Tiroler Volkspartei, lobte die Politische Akademie, die mit ihrer inhaltlichen Tiefe wertvolle Arbeit leiste, um oberflächlichen Antworten auf komplexe Themen, wie Migration, entgegenzuwirken.

Schleppende Diskussion in der EU

Barbara Thaler, Europaabgeordnete und Vizepräsidentin der Politischen Akademie, wies darauf hin, wie schwierig die Migrationsdiskussion auch auf europäischer Ebene sei. Nach der Flüchtlingskrise 2015 habe die EU-Kommission einen Asyl- und Migrationspakt vorgeschlagen, der unter den Mitgliedsstaaten keine Mehrheit gefunden habe. Der große Knackpunkt sei damals die Frage gewesen, wer wie viel schultern müsse. 2020 habe es einen neuen Vorschlag der Kommission gegeben, der zuerst auch kaum Bewegung in die Sache gebracht habe, erst seit Kurzem tue sich bei dem Thema wieder was.

Zur Debatte auf EU-Ebene betone Walter Obwexer, Professor für Europarecht und Völkerrecht: „Ein einheitliches Vorgehen in der EU wäre rechtlich möglich, aber die Europäische Union hat es bis heute nicht geschafft als eine EU zu agieren.“ Immer noch würde von der „EU27“ gesprochen, also von der EU als Summe ihrer Mitgliedsstaaten. Solange diese Denke nicht überwunden würde, könne die EU niemals effizient sein. Die 27 Mitgliedsstaaten würden immer unterschiedliche Interessen vertreten, wie eben auch in der Frage der Migration. „Die EU muss diesen Schritt machen, mehr als die Summe ihrer 27 Mitgliedsstaaten zu sein“, appellierte Obwexer für eine Veränderung des Blickwinkels, nicht nur in der Politik, sondern bei uns allen. In der konkreten Migrationsfrage spieße es sich, wie Thaler bereits berichtet habe, an der Verteilungsfrage.

Diese schwierige Verteilungsfrage verunmögliche viele Lösung auf europäischer Ebene, erklärte Obwexer. Auch bei den oft vorgeschlagenen Asylverfahren in Drittstaaten würde es am Ende auf das Problem der Verteilung hinauslaufen. Denn jene, die einen positiven Bescheid bekämen, müssten dann nach dem Zufallsprinzip auf die EU-Staaten verteilt werden. Dadurch würden auch jene, die keinen Schutz bräuchten, sondern auf der Suche nach einem besseren Leben wären, das Interesse verlieren. So wäre etwa eine Zuteilung nach Ungarn viel weniger attraktiv, weil die meisten das bessere Leben eben nur in Österreich, Deutschland und Schweden sehen würden.

Migrationsgründe in Herkunftsländern und Integrationskapazitäten in Zielländern

Belachew Gebrewold, Professor für Politikwissenschaften, erklärte, dass Migration oft auf Armut, den Klimawandel oder politische Unsicherheit zurückzuführen sei. Hinzu kämen sowohl soziale als auch ökonomische Transformationsprozesse, diese seien allerdings nur wenig erforscht. Sozial würde sich in den Herkunftsländern viel verändern. Durch die Liberalisierung der Gesellschaften würden Frauen zum Beispiel viel mehr Entscheidungs- und damit auch Bewegungsfreiheit bekommen. Auch durch die Veränderung der kulturellen Stellung der Männer würden viele sich gezwungen fühlen auszuwandern, um wieder mehr Status zu erlangen. Ökonomisch könnten sich heute auch in den Herkunftsländern viele Menschen viel mehr leisten als früher, was Migration tatsächlich erleichtern würde.

Gebrewold beschrieb auch das komplizierte Verhältnis der meisten Herkunftsländer mit Europa, das vor allem aus der Geschichte geprägt sei und einen gewissen Widerspruch enthalte: „Paradoxerweise ist Europa der verhasste Kolonisator und das idealisierte Ziel zu gleich sei.“

„Ich glaube, wir brauchen als Europäische Union Immigration“, verwies Thaler auf den Fachkräftemangel. Persönlich finde sie, dass unser liberales Gesellschaftssystem uns verpflichten würde, Menschen, die vor Krieg oder Armut fliehen, zu helfen. Dies sei aber nur möglich, so lange die Aufnahmeländer auch Kapazitäten hätten, eine erfolgreiche Integration möglich sei und damit auch die Akzeptanz in der Bevölkerung vorhanden wäre.

Marie-Luisa Frick, Professorin am Institut für Philosophie, erinnerte an die quantitative Dimension, welche schlussendlich auch auf die Verteilungsfrage Auswirkungen habe: „Global betrachtet kann nicht jeder zu uns kommen. Würden alle jene, die wegen Armut oder Krieg fliehen einen Platz in Österreich bekommen, würde das ein Drittel der Weltbevölkerung umfassen, also drei Milliarden Menschen. Das wird sich nicht ausgehen.“ Dementsprechend müsse zwischen Asyl und Migration, also zwischen Anspruch auf Schutz und anderen Motivlagen, getrennt werden. Jenen, die am dringendsten Schutz bräuchten, müsse dieser gewährt werden. Dafür brauche es auch eine ehrliche Diskussion über die Zahlen, also wie viele Kapazitäten vorhanden sind.

Wenn Sie die ganze Diskussion nachsehen wollen, finden Sie das Video hier.

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