Nachbericht – Symposium “Über die Bedeutung der bürgerlichen Mitte”

Demokratie braucht Debatten und eine breite Mitte 

Wie eine Rückbesinnung auf bürgerliche Tugenden und Werte den gesellschaftlichen Zusammenhalt und das Vertrauen in die Demokratie stärken kann, diskutierten hochkarätige nationale und internationale Expertinnen beim ersten Symposium der Politischen Akademie.

 

Rechtsschutz für Grundrechte fundamental wichtig 

Akademie-Präsidentin Bettina Rausch erinnerte bei der Eröffnung des Symposiums daran, dass es Aufgabe und Bestimmung der Volkspartei sei, Vertreterin und Stimme der Vielen und der Mehrheit der Bevölkerung zu sein und als Kraft der Mitte mit Mut und Zuversicht politische Lösungen zu finden. Für Ernst Bruckmüller, Doyen der heimischen Sozialgeschichte, ist ein bürgerlicher Mensch ein „reeller Mensch, einer, auf den man sich verlassen kann“ und bei dem es eine Übereinstimmung zwischen Worten und Taten gebe. Die bürgerlichen Grundwerte seien aber mehr als moralische Werte, da sie durch das Staatsgrundgesetz geschützt seien. Erst durch den verfassungsrechtlichen Schutz der Menschen- und Bürgerrechte konnten Grundrechte wie Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und Vereinsfreiheit für alle Bürger tatsächlich verwirklicht werden. Dieser Grundrechtsschutz sei für eine Demokratie gleichermaßen Lebensader und bleibender Auftrag, so Bruckmüller. 

 

Wo Werte fehlen, gibt es keine politischen Ziele

Die Theologin Katharina Mansfeld kritisierte an der Gegenwart eine Angstgetriebenheit vieler Debatten. Statt vor der Hölle oder dem Teufel fürchteten sich heute viele Bürger vor dem Klimawandel, aber Angst sei kein kluger Ratgeber für die Politik. Eine negative Politik verfolge keine Ziele, aber erst gemeinsame Ziele könnten ein Wir-Gefühl und eine Identifikation mit dem großen Ganzen ermöglichen. Eine menschengemäße Politik müsse sich daher an den Kardinaltugenden Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Mäßigung orientieren, da diese den Schlüssel zur menschlichen Ursehnsucht nach Liebe und Geborgenheit böten. Erst wenn sich Politik der Einhaltung und dem Schutz von Werten glaubhaft verpflichte, könne sie langfristig und generationenübergreifend überzeugend dem Wähler politische Ziele und Ordnungsmodelle vermitteln.  

 

Sicherheit schafft Vertrauen

Kai Unzicker von der Bertelsmann Stiftung erläuterte in seinem Vortrag, dass man gesellschaftlichen Zusammenhalt mit den Merkmalen Qualität sozialer Beziehungen, der Frage nach der Verbundenheit und dem Gerechtigkeitsempfinden sozialwissenschaftlich messen könne. Die Frage nach dem gesellschaftlichen Zusammenhalt sei in den letzten zwei Jahrzehnten von der Nische ins Zentrum der politischen Debatte vorgedrungen. Während zwischen 1990 und 2020 kaum Veränderungen messbar waren, habe sich mit Corona alles grundlegend verändert: Seit 2020 haben Menschen weniger soziale Kontakte, weniger Vertrauen in gesellschaftliche Institutionen und generell werde die Gesellschaft seitdem als ungerechter empfunden. Bereits über 50 Prozent der Bevölkerung finden sich nicht mehr eingebunden und in diesem Klima gedeihen Verschwörungstheorien und der Wunsch nach einfachen Lösungen. Der Demoskop Wolfgang Bachmayer stimmte den Thesen Unzickers zu und erkannte in dieser Unsicherheit einen idealen Nährboden für Populisten, da diese negative Stimmungen aufgreifen und verstärken. Gegenwärtig glauben 70 Prozent der Bürgerinnen und Bürger, dass es ihre Kinder einmal schlechter haben werden als sie selbst. Weil die Lebenserhaltungskosten explodierten, sei vielen Bürgern heute Selbsterhaltung wichtiger als Selbstentfaltung.  Eine Politik der Mitte müsse darauf mit Lösungskompetenzen für die Probleme im Hier und Jetzt reagieren. Während die obere Mittelschicht die Krise kaum spüre, haben Niedrigverdiener zunehmend Probleme mit hohen Energiepreisen, erinnerte der Meinungsforscher Bernhard Heinzlmaier an eine konkrete Bruchlinie innerhalb der Gesellschaft. „Wer nicht weiß, wie er seine nächste Stromrechnung bezahlten soll, dem ist der Klimawandel egal“, so Heinzlmaier. Eine bürgernahe und mehrheitsfähige Politik dürfe sich daher nicht mit Spiegelfechtereien wie Verbotskultur aufhalten, sondern müsse mit der Bekämpfung von Inflation und Teuerung und der Gewährleistung billiger Energieversorgung die Daseinsvorsorge der Bürgerinnen und Bürger langfristig sicherstellen.  Politik müsse Sicherheit und Vertrauen garantieren.

 

Demokratische Öffentlichkeit stärken

Peter Hefele, Policy Director of the Wilfried Martens Centre, sieht gegenwärtig in Europa eine weitere Gefährdung der Demokratie in der Bedrohung der offenen Gesellschaft durch die Woke-Bewegung.  Selbsternannte Aktivisten würden das Spektrum des Sagbaren einschränken und bestimmte Sachverhalte und Themen von vornherein ausschließen, was einen ergebnisoffenen, rationalen und faktenbasierten politischen Dialog zunehmend verunmögliche. Hefele sieht in der Wiederherstellung eines ergebnisoffenen politischen Dialogs ohne Denkverbote die vordringliche Aufgabe bürgerlicher Parteien: Die Themenfelder Arbeit, Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit seien ordnungspolitisch am besten mit dem Instrumentarium der Sozialen Marktwirtschaft zu lösen. Und bei der Gestaltung des Wandels seien Parteien und nicht Aktivisten die Schlüsselakteure.

 

Polarisierung zeigt Bandbreite politischer Positionen 

Der Politologe Thomas Biebricher bewertete den Begriff Polarisierung nicht negativ. Der Begriff meine ja nur, dass es eine bestimmte Bandbreite und unterschiedliche Positionen von Parteien gebe und Pluralismus und Widersprüche seien wichtig für eine Demokratie.  Entscheidend seien nicht die Widersprüche, sondern der Umgang mit ihnen. Es macht für Biebricher einen Unterschied, ob man Themen wie Migration sachlich, faktenbasiert oder emotional und hetzerisch diskutierte. Und in der Tugend der Mäßigung sieht Biebricher die große Stärke der politischen Mitte. Bürgerliche Parteien wie die ÖVP hätten die Aufgabe, den gesellschaftlichen Wandel sozialverträglich zu moderieren. Eine solche Weggabelung biete auch der Klimawandel. Es sei klar, dass es kein Zurück vor dem Klimawandel mehr gebe, aber mit vernunftorientiertem Gestaltungswillen könne der Umbau der Gesellschaft bewerkstelligt werden. 

 

Neues bürgerliches Leitprojekt Bildung

Inmitten der allgegenwärtigen Krisenrhetorik plädierte der Ideenhistoriker Jens Hacke für den zentralen Stellenwert der Bildungspolitik als Teil einer neuen großen politischen Erzählung. Eine leistungsorientierte und inklusive Bildungspolitik sei gleichermaßen der zentrale Hebel für die Gewährleistung sozialer Gerechtigkeit und Garant einer lebendigen Demokratie. Wenn die Demokratie nämlich von Voraussetzungen lebe, die sie selbst nicht garantieren könne, wie das Böckenförde-Diktum besage, müsse der Rechtsstaat daraus die demokratiepolitisch notwendige Konsequenz ziehen und Bildungspolitik als ersten und wichtigsten Pfeiler einer lebendigen Demokratie betrachten.

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