Mehr Demokratie und Mitte wagen

Anlässlich des Tages der Demokratie diskutierten im Uniqa-Tower in Wien Bundeskanzler a. D Wolfgang Schüssel, Verfassungsministerin Karoline Edtstadler, Akademie-Präsidentin Bettina Rausch-Amon, der Rechtsphilosoph Christian Stadler, der Soziologe Manfred Prisching und die Wahlforscherin Viola Neu die Wichtigkeit einer stabilen und breiten Mitte für die Demokratie. Schüssel fordert auf, in Hinblick auf die bevorstehende Wahl den Vergleich zu suchen.

 

Mitte als Ausweg aus der Polarisierung

Den „Tag der Demokratie“ nutzte die Präsidentin der Politische Akademie Bettina Rausch-Amon, um mit hochkarätigen Wissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern sowie Spitzenpolitikerinnen und -politikern über die wesentlichen Bausteine einer starken Demokratie zu diskutieren. In krisenhaften Zeiten mit dem Erstarken der politischen Ränder von links und rechts biete nur eine starke politische Mitte das notwendige Instrumentarium, um Spaltungen in der Gesellschaft nicht weiter zu vertiefen, betonte Rausch-Amon. Die verheerende Hochwasserkatastrophe der letzten Tage habe in ganz Österreich gezeigt, wie groß der Zusammenhalt in Österreich sei und darauf könne man aufbauen. Bei Krisen gehe es nicht um das Schüren von Streit oder Schuldzuweisungen, sondern um pragmatische Lösungen und Hilfe für die Betroffenen. „Lösungsorientiert arbeitet aber nur die Mitte, da nur sie zu Kompromissen bereit ist“, appellierte Rausch-Amon an alle Staatsbürgerinnen und Staatsbürger, dem Gemeinwohl zu dienen und bei politischen Debatten nie das Wohl des großen Ganzen aus den Augen zu verlieren. Dabei sei es immer wichtig, dass sich Demokratie stetig weiterentwickle und mit der Zeit gehe.

Sehnsucht nach Mitbestimmung und Demokratie

In seinem Impuls erteilte der ehemalige Bundeskanzler Wolfgang Schüssel eine entschiedene Absage an selbsternannte Untergangspropheten, die die Demokratie schlecht reden und ihr eine systemische Krise andichten. Schüssel hält auch Studienergebnisse, wonach die Demokratie sich weltweit am Rückzug befinde, für zweifelhaft und widersinnig. Ganz im Gegenteil beobachte er eine Sehnsucht der Menschen nach Mitbestimmung und Demokratie. Als Beispiel nennt er, dass es keine Flüchtlingsströme in totalitäre Systeme wie China, Nordkorea oder Russland gäbe. Nur die Demokratie sei eine Sehnsuchtsort, da nur diese Regierungsform ihren Bürgerinnen und Bürgern Hoffnung gebe und Mitbestimmung erlaube. Der Drang nach Freiheit sei stark in allen Menschen verankert, wie die aktuellen Demonstrationen in Venezuela und dem Iran belegen.

Schüssel plädierte dafür, bei der Bewertung der Demokratie mehr auf ihre Stärken als auf ihre Schwächen zu schauen. Nur die Demokratie erlaube eine Vielfalt von kulturellen und politischen Haltungen und entfalte gerade in dieser Pluralität ihre Überzeugungskraft. Der Zusammenhalt und der demokratische Konsens sei nach aktuellen Zahlen des Instituts für Demoskopie Allensbach nach wie vor intakt: 92 Prozent aller jungen Menschen glauben an die Demokratie und mehr als zwei Drittel aller Bürger halten die Demokratie für die beste Staatsform. Eine breite, schöpferische und gestalterische Mitte sei also Wirklichkeit und eine solche starke Mitte müsse auch abweichende Meinungen aushalten. „’Ausschließeritis’ und Brandmauern halte ich für falsch,“ warb Schüssel für einen konstruktiven Dialog mit allen politischen Lagern. Eine funktionierende Demokratie müsse immer wachsam bleiben und brauche aktive Bürger. Demokratie sei kein Zuschauersport und benötige Führung, aber keine Führer, so der Alt-Kanzler abschließend.

Mitte als Haltung

Die Wahlforscherin Viola Neu von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin sieht aktuell eine große Unzufriedenheit mit der deutschen (rot-grün-gelben) Bundesregierung. Viele Bürgerinnen und Bürger hätten sich gegen demokratische Werte quasi immunisiert und wären für traditionelle politische Debatten und Haltungen nicht mehr erreichbar. Gegen Extremisten, die mit dem Anspruch der ewigen Wahrheit auftreten, gelte es aktiv im Kampf um die Köpfe einzusteigen. Die Stärke der Mitte liege in ihrer Bereitschaft, Kompromisse einzugehen und sich selbst zurückzunehmen. Kein Bürger müsse Extremismen ertragen, vielmehr gehe es darum sich mit knallharten Inhalten und nicht mit Moral gegen Extremisten zu positionieren. Resignation, Pessimismus und negative Haltung hält Neu für wenig zielführend. Die Aufgabe der Christdemokratie sei es vielmehr, Zukunftszuversicht gegen all die apokalyptischen Erzählungen zu entwerfen und diese glaubwürdig zu vertreten.

Teilwahrheiten sind nie allgemeingültig

Uni-Wien-Rechtsphilosoph Christian Stadler ergänzte diesen Befund um einen weiteren Aspekt: „Das Gefährliche an Extremisten ist, dass sie einen Teil der Wahrheit als ganze Wahrheit ausgeben.“ Diese Strategie mache die politische Diskussion mit Extremisten mühselig, weil sie Teilwahrheiten verabsolutieren und ihre selektiven Fakten nicht in einen größeren Kontext einbetten. Demokratie müsse aber Widersprüche aushalten und kenne keine letzten Antworten. Die wichtigsten Werte der Demokratie sind für Stadler alle in der österreichischen Bundesverfassung zu finden. Zentral für das Funktionieren jede Demokratie sei das Prinzip der Liberalität, welches als materiellen Urkern die Menschenwürde enthalte. Diese Liberalität muss der Rechtsstaat schützen, weshalb er demokratisch verfasst sein müsse. Eine republikanische Gesinnung orientiere sich immer am Gemeinwohl und beschränke Macht durch Gewaltenteilung und Föderalismus doppelt.

Familie als Keimzelle des Staates

Auch für den Grazer Soziologen Manfred Prisching prägt eine verzerrte Wahrnehmung die gegenwärtigen Debatten. Da die Ränder lauter seien als die Mitte und pointierte Positionen vertreten, neigen viele Menschen dazu, den Stellenwert von Extremisten zu überschätzen. Nach wie vor gebe es in der Mitte viel Konsens und es herrsche ein Miteinander ohne viel Konfrontation im Alltag. Die Mitte bestreite ihren Alltag mit einem pragmatischen Weltbild und wisse, dass menschliches Leben immer mit einem gewissen Maß an Unvollkommenheiten und Brüchen verbunden sei. Einen Stabilitätsanker für den Einzelnen bilden Familien. Dort werde Zuverlässigkeit und Selbstvertrauen geschöpft sowie Werte und demokratische Tugenden vorgelebt und vermittelt.

Zusammenhalt bei Katastrophen als österreichische Stärke

Schnell und pragmatisch politische Lösungen anzustreben, sei eine Stärke der politischen Mitte, erläuterte Verfassungsministerin Karoline Edtstadler ihren politischen Zugang. Der Anspruch, Dinge zum Besseren zu verändern, bilde den Kern ihres Amtsverständnisses. Als Soforthilfe für die Opfer des Hochwassers hat die Bundesregierung den Katastrophenfond auf eine Milliarde Euro aufgestockt, um entstandene Schäden schnellstmöglich zu beheben. Zusätzlich stelle die Regierung Betroffenen 40 Millionen Euro aus dem Wohnschirm für alle notwendigen Renovierungsarbeiten zur Verfügung. Mit diesem Maßnahmenpaket wollte die Bundesregierung Sicherheit geben und Not lindern.

Kompromisse als demokratische Tugend

Demokratie berechtige und verpflichte die Bürgerinnen und Bürger gleichermaßen. Bei Wahlen sei der Souverän gefragt, an der Gestaltung der Gesellschaft aktiv mitzuwirken. Da in der österreichischen Verfassung das Recht vom Volk ausgehe, wähle die Bevölkerung ihre Vertreterinnen und Vertreter. Dass Österreich immer von der Mitte aus regiert worden sei, habe der Nation Wohlstand gebracht und ihren Frieden gesichert. Edtstadler warb dafür, auch bei dieser Wahl die politische Mitte zu stärken. Die Volkspartei stehe für eine Politik des Miteinander und einen lösungsorientierten Politikstil.

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