Politik-Brunch Alpbach: Europa muss sich auf gemeinsame Träume und Alpträume einigen

Im Rahmen des Europäischen Forum Alpbach 2021, lud die Politische Akademie zum Politik-Brunch. Dabei diskutierte Akademie-Präsidentin Bettina Rausch mit Außenminister Alexander Schallenberg, dem ehemaligen EU-Kommissar und WTO-Generaldirektor Pascal Lamy und dem London-Korrespondenten der FAZ, Philip Plickert, über geopolitische Machtverhältnisse und Wertemodelle.

Unter der Überschrift „Quo vadis, Geopolitics? Western Values and their Meaning in the Game of Powers“, leitete der Wirtschaftsjournalist Philip Plickert, die englischsprachige Diskussion ein. Gleich zu Beginn steckte er das Spielfeld ab:  Geopolitik – darunter sei die Interaktion der großen Mächte zu verstehen. Die USA wäre über Jahrzehnte hinweg die relevanteste Supermacht auf der Welt gewesen. Heute mache China den USA diesen Rang ernsthaft streitig.

Vom Clash of Civilization zum Clash of Values?

An die 2000 Jahre alte Geschichte dieser westlichen Werte, die Europa und die USA teilen, erinnerte Bettina Rausch in ihrem Eingangsstatement. Sie verwies auf die gemeinsame Basis der EU, die durch Philosophie und Wissenschaft im antiken Griechenland, Politik und staatliche Führung im antiken Rom, Werte- und Moraltraditionen des Juden- und Christentums und die europäische Aufklärung geprägt wurde. Insbesondere die Aufklärung habe den Grundstein für die bürgerlichen Werte von heute gelegt: das Denken der Aufklärung habe etwa Rechtsstaatlichkeit oder Gewaltenteilung erst möglich gemacht und damit dem Streben nach Freiheit starke institutionelle Instrumente an die Hand gegeben.

Rausch verwies auf die Entwicklung des letztens Jahrhunderts, die die Globalisierung mit sich brachte. Die Welt sei heute ein Dorf und in diesem stünden wir alle gemeinsam vor globalen Herausforderungen. Diese Nähe und Verwobenheit führe aber auch dazu, dass unterschiedliche Wertemodelle aufeinandertreffen. Bereits 1996 habe der US-Politikwissenschaftler Samuel P. Huntington einen „Clash of Civilizations“ diagnostiziert. Rausch stellte die These in den Raum, dass wir heute einen „Clash of Values“ erleben würden. Dazu führte sie das Beispiel Afghanistan an.

Kein Selbstmitleid für Europa

Außenminister Schallenberg hielt fest, dass die aktuellen Entwicklungen in Afghanistan zwar auch auf ein Versagen des Westens zurückzuführen seien. Er warnte aber davor, daraus die falschen Schlüsse zu ziehen. Europa dürfe sich nun nicht in Selbstzweifel stürzen oder gar in Frage stellen, ob seine – also die westlichen – Werte die richtigen seien, sondern müsse vielmehr darüber nachdenken, mit welchen Mitteln diese Werte im Rahmen der internationalen Politik in Zukunft erfolgreich beworben werden könnten. Denn, es sei weiterhin richtig für diese Werte einzustehen, doch es brauche einen softeren politischen Ansatz. Überzeugen statt aufzwingen, könnte ein Motto für die Zukunft sein.

Wofür Europa wirklich steht

Pascal Lamy, der von 1999 bis 2004 der Europäischen Kommission angehörte, gestand ein, erst mit Abstand, nämlich als WTO-Generalsekretär*, erkannt zu haben, wofür Europa wirklich stehe: Europa stehe für Nachhaltigkeit in Politik, Wirtschaft und Ökologie und für Säkularismus, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Und, Europa sei weniger bereit mit Waffengewalt für seine Interessen einzustehen, als die USA und definitiv freier – im Sinne der Aufklärung – als China.

Europas Wertemodell: ein globales Minderheitenprogramm?

Schallenberg warb für eine transatlantische Zusammenarbeit, denn wenn die USA und Europa nicht gemeinsam agierten, wäre es leicht für China oder Russland, Boden gutzumachen. In dieser Auseinandersetzung sei das westliche Wertemodell in der Defensive und weit entfernt davon, diesen Konflikt zu gewinnen. Denn, nur 25% der UN-Mitgliedsstaaten würden unser Lebensmodell teilen und nur 20% der Weltbevölkerung lebten in Freiheit, wie wir dies tun, erklärte  der Außenminister. Auch die geopolitische Schwäche Europas, sprach Schallenberg an. Erst in einem langsamen und schmerzvollen Prozess würde die EU das „geopolitische Vokabular“ erlernen und erkennen, dass nicht alle auf der Welt Verbündete seien.

Geopolitisch gibt es für Europa noch Luft nach oben

Lamy sah Europa als internationale Wirtschaftsmacht gut und stark positioniert, geopolitisch wäre die EU aber schwach. Dies begründete er vor allem mit der fehlenden Geschlossenheit. Europa sei mit der wirtschaftlichen Vereinigung sehr erfolgreich gewesen, nicht aber in Bezug auf die Werte-Ebene. Der ehemalige EU-Handelskommissar führte aber auch ins Treffen, dass die stark vernetzte, globalisierte Wirtschaft die Geopolitik heute stärker beeinflusse, als das früher der Fall gewesen sei. Die Digitalisierung nannte Lamy als Beispiel, denn hier stünden viele Fragen im Zusammenhang mit Werten. Die EU habe mit der Datenschschutzgrundverordnung ihre Handelspolitik mit Werten verknüpft. In jedem neuen, internationalen Abkommen sei diese enthalten und setze so auch Standards in anderen Staaten, wie etwa Indien, die sich am europäischen Markt beteiligen wollen.

*Der französische Politiker, Pascal Lamy, war von 2004 bis 2013 Generalsekretär der World Trade Organisation (WTO). Die internationale Organisation mit Sitz in Genf befasst sich mit Normen des internationalen Handels und der internationalen Wirtschaftsbeziehungen.

Die ganze englisch-sprachige Diskussion können Sie hier nachsehen:

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