Heinrich Neisser: Kämpfer für einen lebendigen Parlamentarismus

Der Jurist, Staatswissenschaftler und Politologe Heinrich Neisser feiert am 19. März seinen 85. Geburtstag.

Neisser, von seinen Weggefährten freundschaftlich „Heini“ genannt, erlebte seine politisch prägenden Jahre im Kabinett von Bundeskanzler Josef Klaus zwischen 1966 und 1970, wo er das harte Geschäft der Opposition kennenlernte. Neisser, geboren 1936 in Wien, diente ab 1975 für die österreichische Volkspartei als Abgeordneter im Nationalrat. Von 1987 bis 1989 bekleidete Neisser das Amt des Bundesministers für Föderalismus und Verwaltungsreform. Im Jahr 1994 wählte das Parlament Neisser zum Zweiten Präsidenten des Nationalrats und zwischen 1996 und 2004 war Neisser Präsident der Politischen Akademie. Ab 1999 arbeitete Neisser am Lehrstuhl für Politikwissenschaften in Innsbruck, wo er vor allem zu Themen der europäischen Integration forschte. Neisser hat sich als Voegelin-Spezialist auch um die Pflege des für die Christdemokratie so wichtigen Gedankengutes von Eric Voegelin gekümmert. Der deutsch-US-amerikanischer Politologe hat die Grundlagen der christlichen Ideengeschichte und die Grundlagen der Politikwissenschaft mit seinem Grundlagenwerk „Die Neue Wissenschaft der Politik“ erneuert.

Neisser verkörperte und lebte in all seinen beruflichen Stationen das Idealbild des vielseitig gebildeten und humanistisch engagierten Bürgerlichen.  Klaus‘ Amtsverständnis, wonach auch die Formen der Demokratie dem Wandel der Zeit unterliegen, wurde für sein eigenes Politikverständnis zum prägenden Leitbild. Neissers Begriff der „dynamischen Demokratie“ sieht moderne Staaten infolge ihrer immanenten Dynamik als Systeme, die ständig Änderungen und Anpassungen notwendig machen und auf Systemkorrektur ausgerichtet sind. Reformen sind nach Neisser also keine lästige Pflicht, sondern Lebenselixier jeder Demokratie. So setzte sich Neisser zeitlebens für eine Bundestaatsreform ein. „In den Ländern werden sie froh sein, wenn wir von Wien wegkommen. Und wenn wir eine selbstständige Republik bilden“, lautet ein bekanntes Bonmot des druckreif formulierenden Denkers und großen Redners, indem er die Wichtigkeit der Bundesländer für die Republik Österreich festhielt. Neissers politisches und wissenschaftliches Denken war stets optimistisch und von verfassungsrechtlicher Brillanz und analytischer Exaktheit gekennzeichnet. Neben seiner Begeisterungsfähigkeit für den Parlamentarismus war Neissers zweites Lebensthema die europäische Integration. Als überzeugtem Weltbürger war ihm ein Denken in engen nationalstaatlichen Grenzen zu wenig. Beide sein Leben bestimmende Themen sind heute aktueller denn je.

Die Stärkung des Parlaments als Anreger und Initiator von Reformen war ein zentrales Anliegen von Neisser. Jede Parlamentsreform betrachtete er unter den Aspekten Verfahrensverbesserung und Verbesserung der Stellung des einzelnen Abgeordneten. Der versierte Staatsrechtler und Politologe ist überzeugt, dass die eigentliche Hauptaufgabe des Parlaments in der Kontrolle der Bundesregierung liegt. Diese Kontrollfunktion verfolgt laut Neisser im Rechtsstaat drei bestimmte Zwecke: erstens den Missbrauch von Macht zu verhindern, zweitens Verantwortlichkeit klar zu machen und drittens die Qualität der Gesetzgebung zu verbessern und Anregungen zur Verbesserung der Legislative zu gewinnen.

In seiner Amtszeit als Präsident der Politischen Akademie initiierte Neisser die Schriftenreihe „Aktuelle Fragen der Politik“ und intensivierte die vergleichende Parteienforschung. Mit seinen internationalen politischen und akademischen Kontakten hat Neisser auch das Netzwerk der Akademie wesentlich vergrößert. Besondere Aufmerksamkeit innerhalb der Wissenschaftsgemeinde erregten seine Studien über den „mitfühlenden Konservativismus“ als bürgerliche Zukunftshoffnung und seine Abhandlungen über die unaufhaltsame Europäisierung der österreichischen Politik  Für die Bundespartei kuratierte Neisser in dieser Epoche die inhaltliche und wissenschaftliche Begleitung des Programmprozesses “Wertewelten. Lebenswelten”.

Nach seiner Emeritierung hat der brillante Jurist im Jahr 2008 die Initiative Mehrheitswahlrecht und Demokratiereform mitbegründet und sich auch in seiner Pension für die Weiterentwicklung von Staat und Demokratie eingesetzt. Neissers politisches Vermächtnis einer „dynamischen Demokratie” ist in seinem Sinn nicht als Ziel zu verstehen, sondern als Prozess und bleibt für Christdemokraten bleibende Inspiration.

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