Ein Grund, warum mir das Lesen dieses Buches echt „getaugt“ hat, ist die Tatsache, dass Autorin Ursula Weidenfeld nicht nur über die Politikerin Angela Merkel schreibt, sondern auch über Politik im Allgemeinen.
Politikerin und Politik
Als seit Jahrzehnten politisch Aktive habe ich mich in so mancher Schilderung von Systematiken und Spannungsfeldern, Handlungslogiken und Habitus wieder gefunden: sowohl in meinem eigenen Tun ertappt als auch in meiner Kritik bestätigt. Aber auch für reine politische Beobachter und Beobachterinnen können die Einblicke, die das Buch gewährt, äußerst interessant, ja lehrreich im besten Sinne sein. Muster werden sichtbar, Widersprüche transparent gemacht und es werden – vielleicht typisch deutsch?! – unaufgeregt und klar auch unangenehme Tatsachen ausgesprochen.
Ein Stück Zeitgeschichte
Politische Bildung im besten Sinne liefert Weidenfelds Buch auch deshalb, weil sie – ganz gemäß dem Untertitel „Porträt einer Epoche“ – entlang der Biografie der Kanzlerin auch deutsche Zeitgeschichte dokumentiert. Für mich war es ungemein spannend, die Wiedervereinigung Deutschlands aus ganz anderen Blickwinkeln geschildert zu bekommen und jedenfalls weit mehr drüber zu erfahren, als sich etwa in meiner Schulbildung dazu abgespielt hat. Außerdem gewährt das Buch Einblicke in die deutsche Innenpolitik und auch ins Innerste der CDU im Laufe der letzten Jahrzehnte. Auch oder gerade weil vermutlich manches literarisch zugespitzt ist, liest sich das Buch stellenweise wie ein Polit-Krimi.
Pionierin Angela Merkel
Letztendlich ist „Die Kanzlerin“ aber doch ein Buch über Angela Merkel. Über die Tochter eines evangelischen Pastors und einer (verhinderten) Lehrerin, eine junge ostdeutsche Wissenschaftlerin, eine politische Quereinsteigerin, eine Pionierin in vielfacher Hinsicht. In 9 Kapiteln zeichnet Ursula Weidenfeld das Bild einer Frau mit viel politischem Geschick, unglaublicher Resilienz, großer Ausdauer und dem klaren, aber uneitlen Willen zur Macht. Der Bogen ist vage chronologisch gespannt, viel eher gliedert sich das Buch in thematische Blöcke, die in sich immer wieder auch Rückblenden und Überschneidungen enthalten. So ist es nicht immer ganz einfach, der Story zu folgen, auch wiederholen sich Gedanken der Autorin. Aufgelockert wird die Lektüre aber auch immer wieder durch lebendig erzählte Anekdoten und historische Fotografien.
„Die Kanzlerin“ ist weder Laudatio noch Abrechnung, es ist ein Buch, das anhand einzelner Ereignisse und Facetten eine vielfältige Persönlichkeit beschreibt, die ihre Partei, ihr Land und jedenfalls Europa (wenn nicht die Welt) über viele Jahre geprägt und mitgestaltet hat. Über die Hintergründe von Angela Merkels Handeln mehr zu erfahren und damit auch in die jüngere Geschichte Deutschland und Europas einzutauchen war für mich jedenfalls höchst interessant – und ich hoffe, es ist es auch für den einen oder die andere von euch.
Übrigens hab ich das Buch teils gelesen und teils als Hörbuch gehört (augenschonend und ideal auf samstäglichen „Wagerlrunden“ mit meiner Jüngsten). Das erwähne ich vor allem wegen Sprecherin Jutta Seifert, die für Hierax Medien auf Bookbeat das Buch vorliest. Sie sorgt für ein überaus angenehmes und authentisches Hör- bzw. Leseerlebnis.
Ich wünsche dir ein Lese- oder Hörerlebnis mit interessanten neuen Einblicken!