Philipp Blom: Die Welt aus den Angeln

Hanser Verlag, 2017, 304 Seiten

Phillip Blom ist für mich einer der beeindruckenden Universalgelehrten unserer Zeit. Qua Ausbildung Philosoph, Historiker und Judaistiker (!) arbeitet er als Schriftsteller, Journalist und Übersetzer. Wer regelmäßig österreichische Medien konsumiert, kennt ihn zum Beispiel als Gastgeber des Ö1-Formats „punkt eins“ oder hat ihn beim Philosophen Forum des ORF, im Gespräch u.a. mit Konrad Paul Liessmann und Claudia Stöckl, über die Implikationen der Corona-Pandemie ebenso wie über das Verhältnis von Mensch und Natur erlebt.

Klimaveränderungen sind auch Ausgangs- und quasi Mittelpunkt des Buches, das ich heute empfehle. Ganz Historiker liefert Philipp Blom einen detailgenauen Rückblick auf die Kleine Eiszeit im 16. und 17. Jahrhundert. Ganz Schriftsteller gestaltet er den als wahres Lesevergnügungen bildhaft und lebensnah gleichzeitig aus. Ganz Philosoph schaut er mit klarem Blick auch hinter die Geschichten – und zieht Schlüsse aus den Ereignissen. Was hat die Menschen, ja die Menschheit, damals erschüttert? Was war der Kern, die Essenz der damaligen (Um-)Brüche? Was haben sie daraus gelernt? Und was heißt das für uns, im Hier und Jetzt?

Das Buch wurde 2017 veröffentlicht – ein einer „präpandemischen“ Zeit, sozusagen. Das tut seiner Aktualität aber keinen Abbruch, im Gegenteil. Denn die Fragen rund um die Klimaveränderung, die wir im 20. und 21. Jahrhundert erleben, beschäftigen uns nach wie vor. Die Pandemie hat unser Gesellschaft(en), die Menschheit an sich mit weiteren Fragen konfrontiert.

Die Welt aus den Angeln

Und so haben wir doch alle hin und wieder, manche vielleicht täglich, das Gefühl, die Welt wäre aus ihren Angeln gehoben. Bisher gültige Gesetzmäßigkeiten, tradierte Glaubenssätze, gelebte Gewohnheiten scheinen mitunter über Nacht außer Kraft gesetzt. Wie soll es weitergehen, fragen sich viele? Wird es überhaupt weitergehen? „So schlimm wie jetzt, war es noch nie!“ – Wie sollen wir es auch anders empfinden, haben wir doch nur unsere Erfahrungen aus diesem einen Leben.

Hier empfinde ich Bloms Buch fast tröstlich: Denn die Menschen, die er im Buch porträtiert, haben ihre damaligen Lebensumstände bestimmt auch als Zumutung im umfassenden Sinne, vielfach als ausweglos empfunden, die Apokalypse herankommen sehen. Rückblickend können wir aber sagen, dass – bei aller Mühsal, allen Verwerfungen, allem Leid – die Menschheit diese Zeit gemeistert hat. Und dass wir der Anstrengung, dem Überlebenswillen, der Innovationskraft der damals Lebenden auch eine Reihe positiver Entwicklungen, etwa im Rahmen der Industrialisierung und Demokratisierung unserer Gesellschaft zu verdanken haben.

Es liegt an uns

„Wie unsere Vorfahren werden auch wir lernen müssen mit unvermeidbaren Umwälzungen zu leben, uns ihnen intelligent anzupassen […], anstatt uns zu verweigern, bis sie über uns hereinbrechen.“ – Dieses Zitat aus Bloms Buch findet sich bereits im Klappentext und fast wohl am besten seinen durchs Buch hindurch wohlbegründeten Appell an Leser und Leserin zusammen. Es liegt an uns, wie wir mit den großen Herausforderungen unserer Zeit umgehen. Als aktive und engagierte Bürgerinnen und Bürger sind wir aufgefordert, uns einzubringen dort wo wir stehen und mit dem was wir können. Politischen und gesellschaftlichen Diskurs, ein im besten Sinne funktionierendes Gemeinwesen, wissenschaftliche Innnovation, wirtschaftlichen Unternehmergeist – all das wird es am Weg nach vorne brauchen. Und all das wird von Menschen gestaltet – damals und heute.

In mir hat das Lesen dieses Buches Zuversicht gestärkt und auch mein grundsätzliches Vertrauen in die Resilienz unserer Gesellschaft. Und es hat mich aufs Neue darin bestärkt, meinen Teil dazu beizutragen, unser aller Zukunft mit offenem Visier und ja, mit Freude, zu gestalten. Das wünsche ich mir auch für alle, die dem Buchtipp folgend, auch zu „Die Welt aus den Angeln“ greifen.

Alles Liebe für einen ruhigen Advent,
Bettina

PS: Wie eine Bürgergesellschaft als Gemeinschaft freier und verantwortlicher Menschen mit Herausforderungen umgehen kann (soll?), beschreiben auch einige Beiträge in unserem aktuellen Buch “Bürgergesellschaft heute” – alle Infos hier.

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Buchtipps von Bettina Rausch-Amon

Bettina Rausch-Amon, geboren 1979, Mag. phil., MBA (Health Care Management), ist Präsidentin der Politischen Akademie der Volkspartei und Abgeordnete zum Nationalrat. Sie war fünf Jahre lang Mitglied des Bundesrates und weitere fünf Jahre lang Abgeordnete zum Niederösterreichischen Landtag. Sie ist Herausgeberin zahlreicher Publikationen, zuletzt des Sammelbandes „Christlich-soziale Signaturen. Grundlagen einer politischen Debatte,“ gemeinsam mit Simon Varga, und des Sammelbandes „Bürgergesellschaft heute. Grundlagen und politische Potenziale“ gemeinsam mit Wolfgang Mazal. Seit 2018 ist Rausch Mitherausgeberin des „Jahrbuchs für Politik“. Bettina Rausch ist externe Lehrbeauftragte u.a. an der IMC FH Krems und an der FH Campus Wien.

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