Matthias Politycki, Andreas Urs Sommer: Haltung finden. Weshalb wir sie brauchen und trotzdem nie haben werden.

J.B. Metzler Verlag, 106 Seiten

Dem Essay von Matthias Politycki und Andreas Urs Sommer liegt ein Gespräch – persönlich bzw. via E-Mail geführt – zugrunde und das beginnt mit einer spannenden Kindheitserinnerung des gebürtigen Schweizers Sommer und damit gleich einem spannenden Aspekt: nämlich der Frage, inwieweit Haltung nicht nur eine geistige, sondern vor allem auch körperliche Dimension hat und braucht. Die beiden spannen also den Bogen weit, wenn es darum geht den Begriff bzw. das Konzept „Haltung“ zu definieren. Über das gesamte Gespräch hinweg stellt sich immer wieder etwa auch die Frage, inwieweit sich die persönliche Haltung auch bzw. nur in der Auseinandersetzung mit anderen finden lässt.

Haltung finden und verlieren

Ob und wie man zu einer eigenen Haltung findet, das scheint nur auf den ersten Blick trivial – darin sind sich die beiden rasch einig. In vielen anderen Aspekten dafür (Gott sei Dank!) nicht. Politicky, qua Eigendefinition „linker“ Schriftsteller, und Sommer, Philosoph mit „anarchisch-konservativer“ Grundeinstellung, haben nicht nur aufgrund ihrer Weltanschauungen ganz unterschiedliche Zugänge zur Frage, wie es gelingen kann (und soll?), Haltung zu bewahren. Die beiden unterschiedlichen Charaktere führen damit vor Augen, wie wertschätzender Diskurs grundsätzlich Andersdenkender gelingen kann – zum Nutzen beider und letztlich auch derer, die ihn nachlesen dürfen. Und sie steigen auf 106 Seiten, in gedanklichen Happen dargeboten, tatsächliche in viele Auseinandersetzungen zu großen Fragen ein: es geht etwa um Zivilcourage und Widerständigkeit, um den European Way of Life und den Zeitgeist und letztlich um die in so vielen Facetten relevante Dualität von Freiheit und Sicherheit, von Freiheit und Verantwortung.

Demokratie & Bürgerlichkeit

Mit all diesen Fragestellungen regen sie einander und Leserinnen wie Leser dazu an, jeden Tag aufs Neue die eigene Haltung überdenken zu wollen und sie dann auch gegenüber dem linken oder rechten Mainstream zu vertreten. Dass Denkverbote, wie sie im Namen von „Political Correctness“ entstanden sind und uns in eine „Cancel Culture“ führen, im klaren Widerspruch zu einer gelebten Bürgerlichkeit stehen, eint die beiden Gesprächspartner. Während einer der beiden eher den kulturpessimistischen Mahner gibt, übt sich der andere in gelassener Zuversicht. Vielleicht sind diese beiden „Haltungen“ dann auch schon Hinweise darauf, wie im besten Sinne mündige Bürgerinnen und Bürger in die Debatte einsteigen können. Wollen sollten sie auf jeden Fall.

Ich wünsche eine fruchtbringende “Auseinandersetzung” mit diesem und durch dieses Buch.

Buchtipps von Bettina Rausch-Amon

Buchtipps von Bettina Rausch-Amon

Bettina Rausch-Amon, geboren 1979, Mag. phil., MBA (Health Care Management), ist Präsidentin der Politischen Akademie der Volkspartei und Abgeordnete zum Nationalrat. Sie war fünf Jahre lang Mitglied des Bundesrates und weitere fünf Jahre lang Abgeordnete zum Niederösterreichischen Landtag. Sie ist Herausgeberin zahlreicher Publikationen, zuletzt des Sammelbandes „Christlich-soziale Signaturen. Grundlagen einer politischen Debatte,“ gemeinsam mit Simon Varga, und des Sammelbandes „Bürgergesellschaft heute. Grundlagen und politische Potenziale“ gemeinsam mit Wolfgang Mazal. Seit 2018 ist Rausch Mitherausgeberin des „Jahrbuchs für Politik“. Bettina Rausch ist externe Lehrbeauftragte u.a. an der IMC FH Krems und an der FH Campus Wien.

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