Bürgerliche Impulse zum Thema Arbeit am 17.3. in Linz.
Was bedeutet es heute bürgerlich zu sein und was können wir daraus für eine werteorientierte Politik lernen? Mit dieser Leitfrage im Gepäck startete Die Politische Akademie im März 22 die Veranstaltungsreihe „Bürgerliche Impulse“. Den Auftakt bildete eine Veranstaltung am 16. März in Salzburg, die sich mit der Frage beschäftigte, was ein bürgerliches Leben ausmache. Die nächste Station der Impulse Tour führte nach Linz. Dort stand der Bereich Arbeit im Fokus.
Im Teichwerk der Johannes Keppler Universität Linz begrüßte Elisabeth Mayerhofer, Direktorin der Politischen Akademie, im Rahmen eines Intro-Talks die Gäste. Sie leitete mit einem Zitat von Johannes Keppler ein: „Nur die Mathematik alleine befriedigt den Geist durch ihre ausschließliche Gewissheit.“ Ausschließliche Gewissheit wäre in Zeiten der Pandemie und eines grausamen Krieges in Europa etwas, nach dem sich wohl alle sehnten und das uns doch so oft verwehrt bleibe. Auf eine Gewissheit könne man sich heute wahrscheinlich einigen, so Mayerhofer, nämlich, dass die Volkspartei eine bürgerliche Bewegung sei. Mit der Reihe „Bürgerliche Impulse“ begebe sich die Politische Akademie auf Spurensuche um herauszufinden, was es heute bedeute bürgerlich zu sein.
Laura Sachslehner, Generalsekretärin der Volkspartei erzählte in der Intro-Runde über ihre Erlebnisse mit der Politischen Akademie und die Bedeutung von politischer Bildung für sie selbst: „Ich habe mit 19 Jahren begonnen mich in der Volkspartei zu engagieren. Zuerst standen für mich die Leute, mit denen ich dort zusammengetroffen bin stark im Vordergrund“, so Sachslehner. Erst über das breite Bildungsangebot an der Politischen Akademie habe Sachslehner dann Zugang zu unterschiedlichsten Grundlagen der Politik bekommen, die sie insbesondere in Bezug auf eine werteorientierte Politikgestaltung inspiriert und begeistert hätten.
Über die Bedeutung von Hochschulen für den Wirtschafts- und Arbeitsstandort Oberösterreich sprach Florian Hiegelsberger, Landesparteisekretär der Volkspartei Oberösterreich im Rahmen seiner einleitenden Worte. Er wies insbesondere auf die Technische Universität für Digitale Transformation und ihr Bedeutung für die heimische Wirtschaft hin. Man hoffe so viele Talente anziehen und zu gefragten Fachkräften ausbilden zu können. Denn Aufgabe der Politik sei es heute und in Zukunft für Arbeit zu sorgen und damit auch entsprechende Qualifikationsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen.
Bürgerlich: Abwehrend oder offen?
Danach begrüßte HR-Expertin und Moderatorin Gudrun Hamal den deutschen Publizisten und Mitbegründer von brand.eins Wolf Lotter zu einem Live-Online-Impuls. In diesem Impuls unterschied Lotter zwei Arten des Bürgerlichen: Der Begriff Bürgerlich komme aus dem Mittelalter. Bürger seien jene gewesen, die in der Burg den Lehnsherren und seine Besitztümer verteidigt hätten. Sie hätten also vor allem abgewehrt und Pfründe verteidigt. In weiterer Folge habe sich in den Städten aber eine weitere Form des Bürgerlichen herausgebildet. Diese Menschen lebten in Städten, die auf Handel und damit auch Menschen von außen angewiesen waren. Bürgerliche mussten sich in ihren Städten also mit Differenz auseinandersetzen und Offenheit entwickeln. Um die Transformationen die aktuellen in zahlreichen Bereichen von statten gingen zu meistern, müssten wir uns entscheiden ob eine abwehrende oder eine offene Haltung zielführender sei, so Lotter. Eine Gesellschaft, die den die Erben und damit den Schutz bestehender Pfründe bevorzuge würde sich selbst abschaffen. Denn das Kapital unserer Zeit läge vor allem in der Wissensarbeit. Das bedeute immer öfter, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über ihre Arbeit mehr wüssten als ihre Chefinnen und Chefs. Das sei auch gut so und zeige deutlich, wie sich die Arbeitswelt verändere. Für diese neue Arbeitsnormalität brauche es Fähigkeiten wie Selbstführung und eigenmotivierte Leistung.
Zwischen Verdichtung, Überforderung und der Suche nach Sinn
Im Anschluss an den Impuls von Wolf Lotter bat Moderatorin Gudrun Hamal Akademie-Präsidentin und Nationalratsabgeordnete Bettina Rausch, den Arbeitspsychologen Univ.-Prof. Bernad Batinic (JKU Linz) und die New-World-Of-Work-Expertin Lena Marie Glaser zur Diskussion.
Arbeitspsychologe und Univ.-Prof. Batinic, der in seiner Forschung die Brücke zwischen Arbeits-, Organisations- und Medienpsychologie spannt, sah vor allem eine Verdichtung von Arbeit. Vor einigen Jahren wäre das Diensthandy noch ein Statussymbol gewesen, während heute von vielen die ständige Erreichbarkeit eher als Belastung empfunden würde. Verdichtung – davon berichtete auch Bettina Rausch, Präsidentin der Politischen Akademie, und zwar vor allem dann wenn es darum geht bewertet zu werden. Wer sich für den Beruf der Politikerin entscheide, entscheide sich auch dafür dass jede Handlung bewertet und kommentiert würde. Als Mutter zweier Kinder habe sie diese Andauernden Bewertungen des Elternseins belastend empfunden und immer wieder Situationen der Überforderung erlebt. Rausch nahm Bezug auf Lotters Buch „Strengt euch an“. In diesem Buch spreche Lotter sich nicht nur für eine Quantität an Leistung, also mehr Leistung aus, sondern auch für Qualität. In diesem Zusammenhang sah Rausch es als Privileg sich engagieren zu können und sinnstiftend für die Gesellschaft einsetzen zu dürfen. Dafür lohne es sich, sich anzustrengen. Die Bereitschaft sich anzustrengen ortete Lena Marie Glaser, Expertin für New-World-Of-Work-Fragen, jedenfalls auch bei den Millenials, Personen die nach 1981 geboren wurden. Allerdings diagnostiziere sie auch eine pandemiebedingt große Überforderung, vor allem in Bezug auf die psychische Gesundheit junger Menschen. Millenials fühlten sich in den tradierten Strukturen zunehmend unwohl, führte Glaser weiter aus und würden eine Arbeitskultur auf Augenhöhe suchen und einfordern. Für immer mehr Menschen würde die Frage wie sie möglichst lange gesund und leistungsfähig bleiben könnten immer wichtiger. Dazu gehöre ganz zentral auch die Fähigkeit mit Druck umzugehen.
Arbeit für die Seele
Batinic beschrieb im Rahmen der Diskussion spannende Erkenntnisse aus seinen aktuellen Forschungen in Bezug auf Gesundheit, Wohlbefinden und Arbeit. So konnte er eine Korrelation zwischen Langzeitarbeitslosigkeit und psychosomatischen Beschwerden nachweisen. In einem aktuellen Projekt beforscht er das Wohlbefinden von insolventen Personen. Jene, die trotz der wirtschaftlich prekären Situation weiterarbeiten, fühlen sich insgesamt wohler als jene Personen die die Arbeit eingestellt haben. In einem weiteren Projekt stellte sich heraus, dass bereits Mini-Jobs das psychische Wohlbefinden bei arbeitslosen Personen sichtbar steigern.
Vereinbarkeit von Politik und Familie
Rausch berichtete aus der Perspektive einer Politikerin über Vereinbarkeitsthemen. Wie in anderen Branchen auch, gehe es hier um das Spannungsfeld zwischen Autonomie und Zugehörigkeit. Heute gebe es in der Politik wesentlich mehr Diversität. Politik sei keine Lebensentscheidung mehr sondern eine Station in der Erwerbsbiographie. Diese Diversität sei in der Politik unabdingbar, da so sichergestellt werden könne, dass möglichst viele Lebensrealitäten abgedeckt werden könnten. So habe Rausch als erste Landtagsabgeordnete ihre kleine Tochter in den Landtag mitgenommen und über diese Lebensrealität die Einrichtung eines Stillzimmers angestoßen.
Zeit als Statussymbol
Veränderungen und vor allem Missverständnisse ortete Glaser in Bezug auf die vermeintlich sehr anspruchsvolle Haltung der Millenials potenziellen Arbeitgebern gegenüber. Es wäre wichtig sich zu fragen, was hinter diesen Ansprüchen stecke. Oft wäre es eine sehr klare Wertehaltung und die Sehnsucht in der Arbeitszeit sinnstiftend wirksam sein zu können. Zeit sei für viele das neue Statussymbol. Zeit für Familie, Freunde, Hobbies oder ehrenamtliches Engagement.
Bisherige Learnings aus der Corona-Pandemie
Die Pandemie, berichtete Batinic, hätte vor allem gezeigt, dass disloziertes Arbeiten und Lehren möglich sei. Allerdings schaffe computer-vermittelte Kommunikation weniger Bindung. Daher entwickle sich weniger starkes Commitment zu einer Organisation, während die Wechselbereitschaft unter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern steige. Rausch schloss hier an: Die Kehrseite von Flexibilität sei Bindungslosigkeit. Die Volkspartei stehe für gesellschaftlichen Zusammenhalt. Die Frage wie wir Angebote für Bindung in diesen fragmentierten Zeiten für alle schaffen könnten, wäre für sie zentral.
Glaser schloss hier an: so sehr junge Menschen ortsungebundenes Arbeiten schätzen, so sehr schätzen sie auch Orte der Begegnung und des Austausches. Das wäre aus Sicht der Arbeitsexpertin auch in Zukunft eine zentrale Funktion von Büros. In der Gestaltung müssten sich diese Räume auch entsprechend verändern. Organisationen sollten sich nicht die Frage stellen was das neue „Normal“ sei, sondern viel mehr hinterfragen, was braucht der einzelne Mitarbeiter, die einzelne Mitarbeiterin, was braucht das Team, was braucht die Organisation?
In der Pandemie, so Rausch, haben wir gelernt, dass es sehr viele verschiedene Arbeitsrealitäten gäbe. Während die einen im Home Office waren oder gar ihrer Arbeit gar nicht nachgehen konnten, waren andere, gerade in der Pflege, schnell am Limit. Aus Rausch‘ Perspektive bräuchten wir ein großes Maß an Empathie in Bezug auf andere Lebensrealitäten. Sie sah weiters großen Gesprächsbedarf in Bezug darauf, wie wir Arbeit gestalten und organisieren. Natürlich hätten jungen Menschen auf Grund des zunehmenden Arbeitskräftemangels sukzessive mehr Marktmacht, die Arbeitswelt der Wissensgesellschaft auch nach ihren Vorstellungen zu gestalten, ergänzte Rausch. Als Gesellschaft müssten wir uns trotzdem auch jenen zuwenden und vor allem Solidarität durch Bildung zeigen, denen die Voraussetzungen zur Teilhabe an dieser Wissensgesellschaft aber noch fehlen.
Arbeit findet nicht parallel zum Leben statt.
Batinic sah in Werten einen hilfreichen Kompass für die Transformation. Aber auch in Arbeit an sich sah der Forscher einen zentralen Wert: Wer arbeite hätte das Gefühl dazu zu gehören, etwas beitragen zu können. Glaser fügte hinzu, dass der Wert des Verbindenden, der Wunsch nach Zugehörigkeit für alle Generationen gleichermaßen groß sei. Dazu gehöre auch wahrgenommen, gesehen und gehört zu werden. In ihrem Wrap Up hielt Akademie-Präsidentin Rausch fest, dass es unsere Aufgabe wäre die Arbeitswelt zu gestalten. Das könne uns niemand abnehmen. Das wäre auch deshalb zentral, da Arbeit integraler Bestandteil des Lebens sei und nicht parallel dazu stattfinde.