Meinungsfreiheit und die Mitte der Gesellschaft

Wie lässt sich Meinungsfreiheit in einer Gesellschaft von zunehmender Polarisierung gestalten, in der viele schon den Eindruck haben, dass sie ihre Meinung nicht frei äußern können? Was hat die Politik damit zu tun und wird die Meinungsfreiheit und damit die Demokratie mehr von rechts oder von links bedroht? Wie betrifft das die Mitte der Gesellschaft und wie kann man in diesem Kontext für mehr Freiheit im liberalen Staat eintreten?

Das sind Fragen mit denen sich das Podium der Politischen Akademie im Rahmen der Buch Wien am 11. November auseinandersetzte.

Links reproduziert Menschen-Kategorisierung nach äußerlichen Merkmalen

Den Einstieg in die Diskussion lieferte der deutsch-israelische Philosoph Omri Boehm, welcher die aktuelle Rassismus-Debatte kommentierte. Zu sagen, es gebe überhaupt keine Menschenrassen helfe nicht dabei, Rassismus zu bekämpfen. Anna Schneider, Chefreporterin bei der WELT, wies darauf hin, dass in der Debatte die Kategorisierung von Menschen nach unveränderlichen Merkmalen von Links reproduziert werde. Wenn es auf einmal die größte Bedeutung hat, von wo jemand kommt oder welche Hautfarbe man habe, dann sei das keine Gesellschaft in der der Inhalt einer Meinung zählt. Bei politischer Korrektheit werde zwar Toleranz gepredigt, aber da gehe es nicht um Inhalte, sondern um äußere Merkmale. Man drückt alles, was man ist, jedem auf und erwartet nicht nur Akzeptanz, sondern auch totalen Respekt und vor allem keine Kritik. Das sei in einer offenen Gesellschaft schwierig, argumentierte die Autorin des Buches „Freiheit beginnt beim Ich“.

Meinungsfreiheit wird als Problem und nicht Teil der Lösung gesehen

Es sei ein gefährlicher Trend der Linken, dass Meinungsfreiheit als das Problem gesehen wird und nicht als Teil der Lösung, analysierte Spiegel-Korrespondent René Pfister und Autor des Buches „Ein falsches Wort“. Bestimmte Meinungen werden aus der Debatte entfernt. Es sei gefährlich, wenn in vielen westlichen Ländern 50% der Menschen das Gefühl haben, nicht sagen zu dürfen, was sie denken. Diese Entwicklung führe dazu, dass die Menschen dann im Safe-Space der Wahlkabine ihre Meinung zum Ausdruck bringen und für eine AfD oder einen Donald Trump wählen.

Bettina Rausch-Amon, Präsidentin der Politischen Akademie und Nationalratsabgeordnete betonte, dass wir schnell darin seien, Einschränkungen von rechts zu verdammen aber nicht so schnell darin sind, die schleichende Meinungseinschränkung von Links zu erkennen. Der öffentliche Raum, der schwer erkämpft worden ist, wird kleiner. Demokratie ist als inklusives Projekt gestartet, deswegen müssen wir uns darum bemühen, die Diskursräume wieder zu öffnen.

„In der Demokratie braucht es vor allem Pluralismus“, brachte es Anna Schneider auf den Punkt.

Cancel-Culture beruht oft auf historischem Identitätsverständnis

Omri Boehm, Professor auf einer Hochschule in New York, versuchte die „Wokeness“ und Cancel-Culture Bewegung aus den USA näher zu erklären. Diese Bewegungen begründeten ihre Appelle zur Beschränkung der Meinungsfreiheit oft mit der Geschichte einer bestimmten Personengruppe, beispielsweise mit der Unterdrückung der Afroamerikaner. Europäer, die gegen „Wokeness“ sind, kritisieren gerne die Cancel-Culture in den USA. Sie realisieren jedoch nicht, dass die Beschneidungen der Meinungsfreiheit in Europa, zum Beispiel die Beschränkungen des Antisemitismus, auch auf dem historischen Erbe, und damit auf der Identität einer Volksgruppe beruht. Es brauche einen „Radikalen Universalismus“ jenseits von Identität, wie es der Titel seines Buches preisgibt.

René Pfister verteidigte mancher der Regelungen in Europa aus einer realpolitischen Sicht: Wenn man mit einer Hamas-Flagge problemlos herumlaufen kann, es für einen Juden mit Kippa aber gefährlich ist, dann ist das ein Problem, das der Staat adressieren muss.

Demokratie ringt um Freiheit

Abschließend fasst Präsidentin Rausch-Amon zusammen, dass die Frage, inwiefern man Freiheit einschränken kann, eine sei, um die Demokratien ringen. Die Mitte der Gesellschaft fühle sich in den polarisierenden Debatten zunehmend unwohl. Wir müssen mit Vielfalt umgehen können. Die Res Publika, das miteinander Leben, kann nicht bestehen, wenn wir uns aus dem Weg gehen. Deswegen der Appell, dass man sich traut, in den Diskurs einzusteigen.

 

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