Angst vor der Krankheit und der Arbeitslosigkeit

Zwei Millionen Corona-Infizierte sowie massive Proteste und Unruhen nach dem Tod eines Afroamerikaners durch Polizeigewalt halten die USA aktuell in Atem. Im Rahmen unserer Online-Reihe „Corona-Gespräche“ war der österreichische Botschafter in Washington Martin Weiss zu Gast und berichtet über die USA im Ausnahmezustand.

Mit zuletzt fast 30.000 Neuinfektionen pro Tag und über 100.000 Toten haben sich die Vereinigten Staaten von Amerika in den letzten Wochen zum Zentrum der globalen Coronavirus-Pandemie entwickelt. Aus der europäischen Perspektive vergessen wir allerdings oft, dass die USA ein riesiges Land mit 300 Millionen Einwohnern sind und dementsprechend nicht alle Landesteile gleich vom Virus betroffen sind. Konkret habe sich der Virus zuerst sehr stark in New York und Seattle verbreitet und wandere erst jetzt in Richtung Süden, wo etwa Arizona ein Hotspot sei, berichtete Botschafter Weiss. Außerdem habe Italien hochgerechnet auf die Gesamtbevölkerung immer noch mehr Tote als die USA, gibt er mit Blick auf die großen absoluten Zahlen der Pandemie in den USA zu bedenken.

Bei den Maßnahmen verweist Weiss darauf, dass in den USA im Vergleich zu Österreich sehr viel regional entschieden werde, da die Gouverneure einen Großteil der Entscheidungsbefugnisse hätten und demensprechend auch die Maßnahmen je nach Infektionszahlen der Bundesstaaten unterschiedlich gestaltet würden. So haben etwa Washington und New York ähnlich Maßnahmen wie Österreich erlassen, während zum Beispiel Texas und Florida weniger strikt gegen den Virus vorgingen. Die Stimmung in der Bevölkerung sei geprägt von einer Mischung aus Angst vor der Krankheit und Angst vor der Arbeitslosigkeit, trotz eines Hilfspakets der US-Regierung, das dem der österreichischen ähnle. Angesprochen auf die bewaffneten Proteste gegen die Maßnahmen zur Bekämpfung des Virus gibt Botschafter Weiss die Unterschiede zwischen den USA und Europa zu bedenken, die solche Situationen für uns oft unverständlich erscheinen ließen.

Neben dem Virus, das sich in dem großen Land wie ein Lauffeuer zu verbreiten scheint, wird die amerikanische Innenpolitik zusätzlich von landesweiten Demonstrationen und Ausschreitungen nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd bei einem Polizeieinsatz erschüttert. Botschafter Weiss berichtete, dass diese Proteste sehr massiv gewesen seien. In Washington etwa sei das Gebiet um das Weiße Haus großräumig abgesperrt und eine Ausgangssperre über Nacht verhängt worden. Auch wenn Polizeigewalt gegen Afroamerikaner in den USA nicht wirklich etwas Neues sei, seien diese Proteste anders und es würde eine breite Bewegung geben, die das Problem im System sehe und eine Änderung einfordere.

Während dieser innenpolitischen Krisen steckt das Land Mitten im US-Präsidentschaftswahlkampf. Während in Europa etliche Wahlen aufgrund des Coronavirus verschoben wurden, sei eine Absage der US-Präsidentschaftswahl allerdings kein Thema, erklärt Weiss im Gespräch. Dafür sei die Briefwahldebatte wieder aufgeflammt. Auch thematisch sei der Wahlkampf natürlich durch die beiden Krisen beeinflusst. Besonders die Blacklivesmatter-Bewegung würde dem demokratischen Herausforderer Joe Biden wieder Chancen bringen, vor dem Tod George Floyd hätte man die Wiederwahl Donald Trumps im Land als sehr wahrscheinlich erachtet. In jedem Fall sei die ohnehin aufgeheizte Stimmung durch den Wahlkampf weiter angefeuert worden.

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